Wenn Enthüllungsjournalisten zu willfährigen Werkzeugen werden

Die Affäre rund um das Ibiza-Video demonstriert auch, wie problematisch der Umgang von Medien mit anonymen Quellen und Persönlichkeitsschutz ist.

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Es war ein Sommer voller Nebel, trotz des heißen Wetters. Von allen Seiten wurden die Bürger mit Nebelgranaten beworfen: Da ging es um geschredderte Druckerplatten, um politisierende Schauspielerinnen, um Schnitzel und Ferienziele. Alles wurde skandalisiert. Was wir hingegen immer noch nicht erfahren haben, sind die näheren Umstände, warum es überhaupt zur jetzigen Situation gekommen ist.

Kürzlich kam das Enthüllungsbuch zweier „Aufdeckerjournalisten“ der „Süddeutschen Zeitung“ auf den Markt. Doch dieses deckt eher zu als auf. Zwar werden ausführlich die haarsträubenden Aussagen der Protagonisten wiedergegeben, die zu deren Rücktritten geführt haben und die derzeit Gegenstand von Ermittlungen sind. Über die Drahtzieher und Hintermänner erfährt man hingegen nichts – ganz im Gegenteil: Es wird sorgsam darauf geachtet, deren Identität zu verschleiern, soweit man sie überhaupt kennt.

Ach ja, es handelte sich bei dem Video ja bloß um ein „zivilgesellschaftliches Projekt“ und eine „investigative Recherche“. Das behauptet zumindest der Anwalt, der das Video verhökern wollte. Es sollte aber unbedingt nicht nur juristisch, sondern auch journalistisch genau der Hintergrund ausgeleuchtet werden, wenn man Derartiges publik macht. Bisher entstand nämlich der Eindruck, dass alles getan wird, um davon abzulenken, wer die eigentlichen Hintermänner dieser Affäre sind, die eine innenpolitische Krise ausgelöst hat.

Um es klarzustellen: Mit investigativem Journalismus hat die Vorgangsweise der Drahtzieher des Videos überhaupt nichts zu tun, ganz im Gegenteil. Es widerspricht allen journalistischen Regeln und auch medienrechtlichen Bestimmungen, einen Interviewpartner in eine derartige Falle zu locken, ihn betrunken zu machen oder sonst wie mit Substanzen zu versorgen; das Ganze heimlich zu filmen und dann auch noch zu versuchen, das Material zu verkaufen.

Es verwundert, dass bei den Behauptungen des Rechtsanwalts nicht die gesamte Medienbranche und seine Standeskollegen protestiert haben. So funktioniert Journalismus nicht! Den beiden „Aufdeckern“ der „Süddeutschen“ gerät das Ganze auch nicht zur Ehre: Sollte nicht gerade ein investigativ arbeitender Journalist bei einem Material, das er auf eine derartige Weise zugespielt bekommt, auch prüfen, woher es kommt und mit welcher Absicht es von wem erstellt wurde? Tut er das nicht, gerät er in Gefahr, sich als Werkzeug für irgendwelche Machenschaften – seien sie politisch, geheimdienstlich oder kriminell – missbrauchen zu lassen.

Investigativer Journalismus ist wichtig, doch eine sensible Gratwanderung, bei der Grenzen zu beachten sind. Diese Grenzen, wie die Achtung der Privatsphäre, die Rechte Unbeteiligter und die Vermeidung von Vorverurteilung, werden immer öfter überschritten. So brachte ein heimischer Privatsender vor Monaten einen Bericht, in dem sich zwei Journalisten unter einem Vorwand bei einem des Missbrauchs Verdächtigten Zutritt zu dessen Haus verschafften, ihn befragten und dies mit versteckter Kamera filmten. Alles wurde in voller Länge gesendet. Um ein öffentliches Interesse handelte es sich dabei nicht.

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