Die designierte Kommissionschefin muss zum Teil widersprüchliche Begehren von Regierungen und Parteien erfüllen.
Brüssel. Während die neue Equipe der Europäischen Kommission nach und nach Form annimmt, treten mögliche politische Streitpunkte in ihrer Zusammensetzung zusehends klarer zutage. Mehrere nationale Regierungen haben bereits ihren Anspruch auf ein einflussreiches Wirtschaftsressort im 27-köpfigen Kollegium der designierten Präsidentin, Ursula von der Leyen, geäußert. Angesichts der begrenzten Zahl von Politikfeldern, die dafür infrage kommen – Wettbewerb, Währungsunion, Binnenmarkt, Industrie – ist zu erwarten, dass einige Regierungen sich benachteiligt fühlen werden. Dies wird die Entscheidungsfähigkeit der EU nicht erhöhen, zumal parallel zu dieser Personalfrage auch das nicht minder dornige Sujet des Finanzrahmens der Union für die sieben Jahre bis 2027 zu verhandeln ist.
Der Verkauf der Bahnsparte des deutschen Vossloh-Konzerns an Chinas Staatskonzern CRRC sorgt für ein zusätzliches Störfeuer in den deutsch-französischen Beziehungen und erschwert die entscheidende Übereinkunft zwischen Berlin und Paris über die Ressortzuteilung der Kommission.
In deren Brüsseler Hauptquartier gibt man sich äußerst schmallippig zu all diesen Fragen. „Nichts ist beschlossen, bis alles beschlossen ist“, erklärte eine Sprecherin der Kommission am Montag. Sie betonte zudem, dass nicht alle Namen möglicher Kandidaten, die durch die Medien schwirren, auch tatsächlich der Kommission von der Leyens angehören würden. Die designierte Präsidentin interviewt dieser Tage alle 26 Nominierten (London entsendet keinen Kommissar mehr). Mit wachsender Ungeduld wartet man darauf, dass Italien als letztes Mitgliedsland jemanden benennt.
Doch nicht nur die Wünsche der Mitgliedstaaten, auch jene der politischen Parteifamilien muss von der Leyen im Blick behalten. Nach derzeitigem Stand der Dinge würden neun Kommissare zur Europäischen Volkspartei zählen, ebenso viele zu den Sozialdemokraten und sechs zu den Liberalen. Von der Leyen trifft dieser Tage die Führer dieser drei Parteien, die natürlich ebenfalls Ansprüche auf politisch einflussreiche Dossiers anmelden. Wann sie ihr Team vorstellt, ist derzeit noch offen. (go)
("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.09.2019)