Unterhaus erteilt Johnsons Brexit-Kurs klare Abfuhr

Niederlage für Boris Johnson.
Niederlage für Boris Johnson.(c) Reuters
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Das Parlament setzt eine Abstimmung über die Verhinderung eines „No Deal“-Brexit durch. Neuwahlen werden für den Premierminister zum einzigen Ausweg.

London. Das britische Unterhaus hat mit großer Mehrheit Premierminister Boris Johnsons seine erste Niederlage zugefügt. Mit 328 zu 301 Stimmen entschieden die Abgeordneten in der Nacht auf Mittwoch in London, schon heute, Mittwoch, einen Antrag zur Abwendung eines No-Deal-Brexit auf die Tagesordnung zu setzen. Sichtlich verärgert drohte Johnson umgehend mit Neuwahlen: „Wenn das Parlament für dieses Gesetz stimmt, muss das Volk entscheiden, wer am 17. Oktober nach Brüssel fährt“. An diesem Tag findet der letzte EU-Gipfel vor dem derzeitigen Brexit-Tag am 31. Oktober statt, die letzte Chance für eventuelle Änderungen.

Für den Antrag, dem Parlament die Initiative zu verleihen, stimmten 21 Abgeordnete der Konservativen. Sie ließen sich auch durch massive Drohungen der Parteiführung, die einen Ausschluss der Rebellen angekündigt hatte, nicht einschüchtern. Dazu zählten prominente, anerkannte und langjährige Minister wie Philip Hammond, Justine Greening und Ken Clarke. Dieser sagte: „Unsere Partei ist von einer rechtsextremen Clique übernommen worden.“ Unter den Abweichlern befand sich auch der Enkel von Winston Churchill, Nicolas Soames, der erklärte: „So kann man nicht vernünftig eine Regierung führen.“

Johnson hatte seit seinem Amtsantritt im Juli wiederholt erklärt, er werde einen Brexit zum 31. Oktober „um jeden Preis und unter allen Umständen“ durchziehen. Mit dieser harten Haltung wolle er die EU zu einer Änderung des von seiner Vorgängerin Theresa May ausgehandelten Brexit-Deals bewegen, insbesondere in der Frage der Auffanglösung für Nordirland (Backstopp). Während Johnson dem Parlament von „guten Fortschritten“ berichtete, verlautete aus Brüssel nicht nur, dass Johnson das britische Verhandlungsteam substanziell verkleinert habe, sondern auch dass es „keine neuen Vorschläge“ aus London gebe. Ex-Schatzkanzler Clarke: „Johnsons Vorgehen ist absurd.“

Gegen seinen Crashkurs machten seit nun die Gegner im Unterhaus mobil. In der heutigen Abstimmung werden sie über einen Antrag entscheiden, der eine weitere Verschiebung des Brexit bis 31. Jänner 2020 vorsieht und einen No Deal ohne Zustimmung des Parlaments endgültig ausschließen soll. Johnson sprach von einer „Kapitulationserklärung“, der er sich „keinesfalls unterwerfen“ werde. Eine weitere Verschiebung bezeichnete er als „sinnlos“. Nach der ersten Niederlage in seiner ersten Abstimmung als Premierminister nach nur 40 Tagen im Amt lag das Momentum aber eindeutig auf Seiten seiner Gegner. Seit 1894hat kein Regierungschef sein erstes Votum im Unterhaus verloren.

Corbyn: „Wir sind bereit“

Oppositionsführer Jeremy Corbyn von der Labour Party zeigte sich von der Drohung Johnsons, im Fall einer weiteren Niederlage umgehend einen Neuwahlantrag einbringen zu wollen, unbeeindruckt: „Wie sind bereit. Aber zuerst muss er ein entsprechendes Gesetz durchbringen“, erwiderte Corbyn. Johnson braucht eine Zweidrittelmehrheit, dafür wird die Opposition Bedingungen stellen. „Unter allen Umständen muss ein No-Deal ausgeschlossen werden“, erklärte der Labour-Chef. Als Wahltermin wird der 15. Oktober gehandelt, das Vertrauen in Johnson ist aber verschwindend: „Welchen Grund haben wir, ihm zu trauen“, sagte Labour-Abgeordnete Emily Thorberry. Ein möglicher „Deal“ war Gerüchten zufolge: Johnson akzeptiert eine Verschiebung des Brexit und bekommt dafür Mitte Oktober Neuwahlen. Er hofft, dabei Labour vernichtend zu schlagen und als ersten Akt als nach der Wahl nimmt er die Brexit-Verschiebung wieder zurück.

Eine Verständigung ist aber insbesondere seit der Zwangsbeurlaubung des Parlaments durch Johnson ab der kommenden Woche in der größten Krise der britischen Innenpolitik seit 1945 schwierig. Er hat damit nicht nur jede Gesprächsgrundlage zwischen Regierung und Opposition zerstört. Auch für Johnsons Tory-Party stellt der Schritte eine enorme Belastung dar. Der Premierminister hatte am Dienstag gerade seine Rede an das Parlament begonnen, da nahm der bisherige Konservative Philip Lee in den Reihen der Liberaldemokraten Platz. Johnson hat damit keine Parlamentsmehrheit mehr – und 21 Rebellen in der Fraktion. Sie sollen heute „eine letzte Chance“ bekommen, wie Wirtschaftsministerin Andrea Leasom sagte. Lee begründete seinen Fraktionswechsel mit einem „Klima der Einschüchterung und Angstmache“ unter den Konservativen und kündigte an: „Ich werde nicht der Letzte gewesen sein“.

Neuwahlen werden für Johnson damit zum einzigen Ausweg. In der Konfrontation mit Corbyn hofft er, die Labour Party entscheidend schlagen zu können. Als Verfechter eines harten Brexit will er zudem die Konkurrenz von Nigel Farages Brexit-Party abwehren. Wahlforscher John Curtice zeigt sich aber skeptisch: „Seine Chancen stehen bestenfalls 50 zu 50.“ In liberalen Städten und in Schottland, wo Johnson die beliebte Chefin der Konservativen, Ruth Davidson, vergrault und verloren habe, drohen ihm substanzielle Verluste. Zudem hat er bisher die Opposition in Gegnerschaft zu ihm zusammengeschweißt.

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