Integration, ein „langer, harter Weg“

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Symbolbild. (c) Die Presse (Clemens Fabry)
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Schlechtes Deutsch, auch in zweiter Generation, bleibt die Hürde in Schule und Beruf, urteilen Integrationsexperten. Nun, wo die Zuwanderung zurückgeht, stehe die eigentliche Arbeit an.

Wien. Wie geht ein Übergangskabinett mit dem, wie Außenminister Alexander Schallenberg es nennt, „politisch emotionellen“ Thema Integration um? Schallenberg und der von ihm bestellte Expertenrat wählten am Mittwoch einen „evidenzbasierten“, unaufgeregten Ansatz: Integration erfordere einen langen Atem.

Trotz „erster positiver Erfahrungen“ auf dem Arbeitsmarkt und in den Fortbildungskursen stehe „vielen Flüchtlingen noch ein langer, harter Integrationsweg bevor“, so Schallenberg. In die Untiefen der emotionellen Tagespolitik wollten sich weder Minister noch Experten begeben. Fragen nach einer Ausweitung des Kopftuchverbots, der Kürzung des AMS-Budgets und des Geldes für Deutschkurse oder Asylwerber in Lehre beantwortete man ausweichend und hielt sich an die Daten des „Integrationsberichts 2019“ und allgemeine Handlungsanleitungen daraus. Die wichtigsten Aussagen auf einen Blick.

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Bildung: Im Schuljahr 2017/18 waren 15,5 Prozent der 1,1 Millionen Schüler in Österreich ausländische Staatsbürger. Als Gradmesser für die Integration sei aber ihre Umgangssprache wesentlich, sagt Wirtschaftsforscherin Gudrun Biffl. Da stieg der Anteil der Schüler, die abseits des Unterrichts nicht Deutsch sprechen, seit 2010/11 von 18,4 auf 26 Prozent. Am höchsten ist er in Wien mit 51,9 Prozent. Handlungsbedarf sieht sie vor allem bei Kindern der zweiten Einwanderergeneration: Während der Anteil der Schüler, die daheim eine andere Sprache sprechen, im EU-Schnitt nach einer Generation stark sinkt, bleibt er in Österreich mit 73 Prozent fast gleich.

Die Experten fordern Investitionen in Sprachunterricht, auch nachmittags, und lobten die steigende Zahl der Teilnehmer in Erwachsenenbildung und Wertekursen. Auf die Frage nach dem geschrumpften Budget für das AMS-Deutschtraining unter Türkis-Blau hielten sie sich zurück: „Nach unserer Erfahrung besteht für jeden Bedarf ein Kursangebot“, sagte die Ratsvorsitzende, Katharina Pabel.


Berufseinstieg: Österreich hatte 2018 rund eine Million Erwerbstätige mit Migrationshintergrund. Bei Menschen aus Fluchtländern wie Syrien und Afghanistan sei die Arbeitslosigkeit zwar noch hoch, aber im Vorjahr auch überproportional zurückgegangen, sagte Pabel. Im Langzeitvergleich könne man zufrieden sein: Von den seit 2011 in Österreich lebenden Asylberechtigten hätten 53 Prozent einen Job.

Ein gutes Drittel der Mindestsicherungsbezieher sind Asyl- oder subsidiär Schutzberechtigte. Ihr Anteil stieg 2018 leicht, während der der österreichischen Bezieher um zehn Prozent sank. Für Pabel hat das zwei Gründe: Österreichern half die gute Wirtschaftslage im Vorjahr stärker, auf dem Arbeitsmarkt Fuß zu fassen. Der Trend sei aber auch die logische Konsequenz der steigenden Zahl abgeschlossener Asylverfahren – 2018 traten monatlich 500 bis 1100 neue, als arbeitslos gemeldete Menschen mit frisch verliehenem Bleiberecht in den Arbeitsmarkt ein. Jetzt gelte es, all jene, die nicht direkt einen Job fanden und ins Mindestsicherungssystem fielen, mit gezielten Förderungsmaßnahmen beim Einstieg zu unterstützen.


Zuwanderung und Asyl: Die Septembertage 2015 wirken nach und werden noch für viel Integrationsarbeit sorgen, sagte Außenminister Schallenberg. Wie weit man von den 88.340 Asylanträgen des Jahres 2015 entfernt ist, zeigte der Integrationsbericht am Mittwoch erneut deutlich: 2018 beantragten 13.746 Menschen Asyl – das war ein Rückgang um 44 Prozent zu 2017 und in etwa so viele wie zuletzt im Jahr 2011. Die meisten Antragsteller stammten aus Syrien, Afghanistan und dem Iran. Bei dieser Antragszahl sei das Niveau erreicht, „das wir in Österreich gewöhnt waren, und das unsere Infrastruktur gut aufnehmen kann“, sagt Gudrun Biffl. Heute haben gut zwei Millionen Menschen (23,3 Prozent) in Österreich einen Migrationshintergrund – ein gutes Drittel mehr als vor einem Jahrzehnt.
Rollenbilder: Um die Rollenmuster, die Geflüchtete aus manchen Herkunftsländern nach Österreich tragen, auszuleuchten, legt der „Integrationsbericht 2019“ einen Schwerpunkt auf Geschlechterrollen. Forscherin Emina Saric weiß nach zehnjähriger Arbeit mit Mädchen und Frauen aus Ländern mit patriarchalen Strukturen, dass diese auch in der zweiten Generation klare Rollenbilder in der Familie erfüllen müssen und etwa Kleidung, Handy und Zugang zu Bildung streng kontrolliert werden. Um in diesem männlich dominierten Kontext „Gewalt im Namen der Ehre“ zu vermeiden, brauche es früh in der Integration klare Informationsangebote, etwa in Männerberatungsstellen, sagt Saric.

Ob sie und die Kollegen des Expertenrats die von der ÖVP jüngst geforderte Ausweitung des Kopftuchverbots an Schulen als sinnvolle Maßnahme gegen patriarchale Strukturen und Geschlechterrollen sehen? Darauf gab es am Mittwoch keine Antwort. (loan)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.09.2019)

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