World Press Photo: „Die Kamera ist kein Schutzschild“

Die zweijährige Yanela weint verzweifelt, als sie und ihre Mutter, Sandra, an der Grenze von einer US-Patrouille aufgegriffen werden.
Die zweijährige Yanela weint verzweifelt, als sie und ihre Mutter, Sandra, an der Grenze von einer US-Patrouille aufgegriffen werden.(c) APA/AFP/GETTY IMAGES/JOHN MOORE (JOHN MOORE)
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John Moore erzählt mit seinen Fotos Geschichten von Flüchtlingen in den USA. Sein Siegerfoto rührte die Menschen. Zu sehen ab heute in der Galerie Westlicht.

Es ist ein herzzerreißendes Bild: Einen Monat lang hatte sich Sandra Sanchez mit ihrer Tochter, Yanela, von Honduras aus über Mittelamerika und Mexiko in die USA durchgeschlagen. Doch kaum hatten sie am 12. Juni 2018 auf einem Floß den Rio Grande überquert, wurden sie von einer Grenzpatrouille erwischt. Sandra setzte Yanela ab, als sie kontrolliert wurde – und das Mädchen begann verzweifelt zu weinen . . .

Wie so oft, war auch in dieser Nacht der Fotojournalist John Moore an der Grenze – und drückte auf den Auslöser. Seit zehn Jahren bereits befasste er sich mit Flucht und Migration. Aber etwas hatte sich verändert, erzählt er im „Presse“-Interview: „Die Regierung von Donald Trump hatte gerade eine Null-Toleranz-Politik gegenüber Immigranten eingeführt, die in vielen Fällen zur Trennung von Eltern und Kindern führte.“ Auch unter Barack Obama habe es Abschiebungen gegeben – meist wegen (oft auch kleinerer) Vergehen oder weil jemand straffällig geworden war. „Unter Trump zielt die Regierung aber auf jeden Immigranten, der kein gültiges Visum hat. Millionen Menschen sind betroffen und leben in Angst.“ Yanela wurde zum Symbol. Kein anonymes Schicksal, sondern ein verzweifeltes kleines Mädchen in roten Turnschuhen. Manchmal, erzählt Moore, werde er Zeuge von Ereignissen, die ihn traurig machten. „Die Kamera ist kein Schutzschild. Aber ich denke, es macht einen Unterschied, ob ich etwas fotografiere und das Bild veröffentliche oder nicht.“ Kann denn ein Foto die Welt ein bisschen besser machen? „Wenn ich davon nicht überzeugt wäre, müsste ich den Beruf wechseln.“ Yanela rührte die Menschen, es gab einen öffentlichen Aufschrei. Ob es ihr Foto war oder nicht – Trump setzte kurz darauf die Trennung von Familien offiziell aus.

„Immer die Quellen checken“

John Moore.
John Moore. (c) John Moore/Getty Images

Das Foto wurde zum World Press Photo 2018 gekürt – und ist ab heute mit den anderen preisgekrönten Arbeiten in der Galerie Westlicht ausgestellt. Was ein gutes Bild ausmacht? „Ich bin Fotojournalist. Ich will mit meinen Bildern Geschichten erzählen, Gefühle vermitteln – und natürlich zählen fotografische Komponenten wie Komposition und Licht.“ Bevor er in die USA zurückkehrte, arbeitete Moore 17 Jahre lang im Ausland – in Nicaragua, Indien, Südafrika, Mexiko, Ägypten und Pakistan. Oft war er in Krisen- und Kriegsgebieten unterwegs, jetzt eben an den Grenzen. Das ist immer eine Gratwanderung. „Als Fotojournalist muss man respektvoll und sensibel mit den Menschen umgehen, die man fotografiert, denn oft haben sie erst kurz zuvor ein Trauma erlebt.“ Er versuche dann, mit ihnen zu sprechen oder zumindest über den Augenkontakt zu erfahren, ob er weitermachen dürfe oder nicht. „Und ich mache ihnen klar, dass ich nicht einfach nur ein Foto von ihnen mache, sondern dass sie so auch zu einem allgemeinen Verständnis beitragen.“

Den Konsumenten rät er, nicht jedes Foto für echt zu halten, das viral die Runde macht. „Auf sozialen Medien gibt es die Gefahr, dass verfälschte Fotos verwendet werden.“ Oder – wie im Falle seines Siegerfotos – falsche Informationen mitgeliefert werden. „Man sollte nicht alles glauben, was da zu sehen ist und immer die Quellen checken.“

ZUR PERSON

John Moore arbeitete für Associated Press, bevor er 2005 zu Getty Images ging. Er war 17 Jahre im Ausland tätig (Nicaragua, Südafrika, Ägypten etc.) und berichtet heute über Immigration in die USA. 2005 gewann er den Pulitzerpreis für Breaking News Fotografie.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.09.2019)

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