Wer Hetze verbreitet, zum Beispiel durch Hasspostings auf Facebook, muss mit strafrechtlicher Verfolgung rechnen. Ein speziell entwickeltes Diversionsprojekt hat sich bewährt. Es erspart den Tätern eine Verurteilung.
Wien. „Das ist der Abschaum der Menschheit – wo der Natur oder Gott ein Genfehler passierte, den man reparieren sollte.“ – „Ausländer sind nur Gesindel. Weg mit dem Dreckspack!“ Bei diesen Hasspostings handelt es sich um Originalzitate aus Straffällen, die von der Bewährungshilfe-Organisation Neustart bearbeitet wurden. Die Personen, die dies verbreitet haben, riskierten eine Verurteilung wegen Verhetzung. Und landeten in einem von Neustart speziell entwickelten Diversionsprogramm.
Dieses trägt den Titel „Dialog statt Hass“ und wurde am Freitag von Vizekanzler und Justizminister Clemens Jabloner im Rahmen einer Pressekonferenz erläutert. Ziel des Projekts, das nach erfolgreichem Probebetrieb, beginnend mit Jänner 2018, seit Juli 2019 flächendeckend im Regelbetrieb läuft: Beschuldigte können sich einen Schuldspruch und damit eine Haft- oder Geldstrafe ersparen, wenn die Voraussetzungen für eine Diversion vorliegen – und wenn sie sich an dem genannten Programm aktiv beteiligen.
Wann sind nun (Hass-)Postings ein Ausdruck der freien Meinungsäußerung? Und wann sind diese Mitteilungen bzw. Botschaften – meist in sozialen Medien verbreitet – ein Fall für den Strafrichter?
Hier hilft ein Blick auf den Anfang 2016 novellierten/verschärften Tatbestand der Verhetzung. Denn es ist gerade dieser Paragraf (§ 283 Strafgesetzbuch), der in den meisten Fällen von den Behörden heranzogen wird. Verhetzung begeht, wer öffentlich (ab circa 30 Personen kann man von Öffentlichkeit sprechen) zu Gewalt gegen eine Gruppe oder eine Kirche auffordert. Ebenso ist der Tatbestand erfüllt, wenn jemand zu Hass aufstachelt. Oder eine Gruppe öffentlich beschimpft. Dabei kommt es darauf an, dass die im Fokus stehende Gruppe nach Rasse, Hautfarbe, Sprache, Abstammung, Geschlecht oder etwa nach sexueller Ausrichtung definiert ist. Die Grundstrafdrohung beträgt bis zu zwei Jahre Haft. Wer ein Posting verfasst, das einer breiten Öffentlichkeit zugänglich ist, hier genügen 150 Facebook-Freunde, dem drohen bis zu drei Jahre Gefängnis.
In den vergangenen Jahren sind die Verurteilungszahlen bei Verhetzung zuerst gestiegen (vor allem nach der Novelle), 2018 gab es einen Rückgang. Dafür stieg die Zahl der Diversionen – siehe Grafik. Die Diversion (sie kann von der Staatsanwaltschaft oder vom Gericht angewendet werden) beinhaltet Maßnahmen, die sich am Täter orientieren. So gehe es bei Verfassern von Hasspostings darum, „das Bewusstsein für die rote Linie zwischen freier Meinungsäußerung und Verhetzung zu schaffen“, erklärte Neustart-Geschäftsführer Alfred Kohlberger.
Jene, denen Diversion gewährt wird, müssen in sechs Monaten mehrere Module abarbeiten. Ihnen wird zum Beispiel Diskurskompetenz vermittelt. Dabei erklären Bewährungshelfer, wie man in zivilisierter, rechtskonformer Art Kritik üben kann. Auch Medienkompetenz wird gelehrt. Dies sei vor allem bei älteren Personen notwendig, berichtete Kohlberger aus der Praxis. Die Frage laute hier meist: „Wie kann ich Fake News erkennen?“
Im Rahmen des Projekts gab es bisher 119 Zuweisungen an Neustart. 61 Fälle wurden abgeschlossen. 74 Prozent der Zugewiesenen waren männlich. Die am zahlreichsten vertretene Altersgruppe war jene zwischen 40 und 60. Die Mehrzahl der Zugewiesenen waren berufstätig. Und eher gut sozial eingebunden. Ziel der Diskriminierung waren großteils Flüchtlinge, Muslime und Homosexuelle. Das Hauptmedium: Facebook. Zehn Personen lehnten das Diversionsangebot bisher ab.
Versprochene Ankläger fehlen
Indessen bestätigte Jabloner, dass die von einem seiner Vorgänger, nämlich von Wolfgang Brandstetter, versprochenen fünf zusätzlichen staatsanwaltlichen Planstellen zur Bekämpfung von Hass-im-Netz-Kriminalität nicht geschaffen worden seien. Er, Jabloner, sei aber dafür, dass diese doch noch kommen. Derweil sei aber bei den Staatsanwaltschaften „Fachkompetenz aufgebaut worden“. Soll heißen: Es gibt mehr Know-how, aber nicht mehr Personal.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.09.2019)