Hygiene: Vom täglichen „Geschäft“ in Afrika

(c) ANNA MAYUMI KERBER
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5000 Kinder sterben täglich an Durchfallerkrankungen, die im Zusammenhang mit schlechter sanitärer Versorgung entstanden sind. Neben humanitären Auswirkungen sollen auch wirtschaftlichen Folgen nicht vergessen werden.

Zwei Mädchen im Grundschulalter schieben ihre Röcke hoch, ziehen ihre Höschen über die Knie und gehen in die Hocke. Es ist Mittags, kurz nach Schulschluss auf dem Hauptboulevard in Lomé, der Hauptstadt von Togo.

Während sie auf den Gehsteig pinkeln, halten sie mit zwei Fingern ihre Schamlippen so fest, dass es nicht in alle Richtung spritzt – das haben sie sich von den älteren abgeschaut. Passanten und die Frauen, die ein paar Meter entfernt Reis und Kassava-Brei mit Soße verkaufen, beachten die Mädchen nicht weiter.

Szenen wie diese sind alltäglich in Afrika südlich der Sahara. Toiletten sucht man hier vergeblich. In den Städten der Region liegt der Anteil der Bevölkerung, die auf sanitäre Einrichtungen mit hygienischen Mindeststandards verzichten müssen, bei 45 Prozent – die höchste Rate weltweit. Rund um den Globus haben sogar rund 2,6 Milliarden Menschen keinen Zugang zu einem „anständigen“ Klo. Unter „anständig“ erfasst die UNO bei dieser Statistik mehr oder weniger alles, was über ein schlichtes Loch im Boden hinausgeht.

Jeder Dritte ohne Toilette

Weit mehr als ein Drittel der Menschheit verrichtet demnach die Notdurft hinter Büschen, neben oder auf Straßen und Bahngleisen, in Kübeln und Plastiksäcken – oder ganz einfach vor der eigenen Tür. Oder auf Toiletten, die diese Bezeichnung nicht verdienen. Davon ausgehend, dass ein Mensch täglich etwa 150 Gramm allein an Stuhl produziert, ist hier die Rede von weltweit 390.000 Tonnen Kot, der täglich an Abwassersystemen vorbeigeht.

Überträgt man diese Zahlen auf eine typische afrikanische Kleinstadt, sieht das so aus: Von 30.000 Einwohnern entleeren 13.500 pro Tag zusammen eine Menge von mehr als zwei Tonnen „wild“. Auf ein Jahr gerechnet sind das knapp 740 Tonnen von Exkrementen, die ungefiltert in die Natur treffen bzw. in den Straßen landen.

Hinzu kommen Unmengen an Urin und die olfaktorischen Begleiterscheinungen des Ganzen. Seitengassen oder ganze Viertel dienen in Afrika als großräumige Freiluftklos und stinken penetrant.

Es stinkt in Afrika

So auch etwa in den engen Gassen der altehrwürdigen Stadt Djenné in Mali mit ihrer berühmten Großen Moschee aus Lehm: In der Altstadt, 1988 von der Unesco zum Weltkulturerbe erklärt, weist süßsäuerlicher Harngestank, der von Regenrinnen aufsteigt, auf deren Zweckentfremdung hin. In Ouagadougou (Burkina Faso) dampft nächtens beißender Geruch aus dem warmen Asphalt.

In Cape Coast an der Küste Ghanas mengt sich Uringeruch mit jenem von Fisch. Am Strand von Avepozo in Togo ergibt sich daraus stellenweise ein schwindelerregendes, drückendes Gemisch. In Touba, einem senegalesischen Verkehrsknotenpunkt, liefert sich der Gestank von Fäkalien mit jenem von Autoabgasen einen erbitterten Zweikampf.

Und so eben auch auf dem „Boulevard 13 Janvier“ in Lomé. Großflächige Schriftzüge auf Haus- und Grundstücksmauern verweisen auf die Geldstrafe, die droht, wenn man gegen sie uriniert. Nicht selten verblassen sie unter den dunklen Flecken, die Harnsäure verursacht. Öffentliche Toiletten, die es mancherorts gibt, versinken oft knöcheltief in einer dunklen Brühe. Ihre Wartung wird sichtbar sträflich vernachlässigt.

5000 Kinder sterben täglich an Durchfallerkrankungen, die im Zusammenhang mit schlechter sanitärer Versorgung entstanden sind – Durchfall ist die zweithäufigste Todesursache von Kindern, nur übertroffen von Lungenentzündungen, doch auch die verbreiten sich bei schlechter Hygieneschneller, ebenso wie Cholera und diverse Wurmerkrankungen. Weltweit sterben jährlich rund 1,5 Millionen Menschen aufgrund mangelnder Hygiene.

Die Kosten des Drecks

Neben den humanitären Auswirkungen dieser Dreckflut sollen auch deren wirtschaftlichen Folgen nicht vergessen werden: Die UNO schätzt, dass die Behandlung von Durchfallerkrankungen im subsaharischen Afrika rund zwölf Prozent der nationalen Gesundheitsbudgets frisst. Die Hälfte der hiesigen Krankenhausbetten wird von Menschen belegt, die bei besserer Sanitärversorgung nicht krank wären. Neben den Behandlungskosten belasten auch die wegfallenden Arbeitstage die Wirtschaft. Schätzungen zufolge verlieren Länder bis zu fünf Prozent ihres jährlichen Bruttosozialprodukts aufgrund unzureichender sanitärer Anlagen.

Eine Frage der Würde

Im Übrigen sind anständige Klos auch eine Frage der Würde. Besonders nächtens scheuen sich Frauen und Mädchen, ein dunkles Gebüsch aufzusuchen. Die Alternative ist oft nur im Schein der Straßenlaternen; zwischen Autos, Eselkarren, Mopeds und Fußgängern und mit einem Kind auf dem Rücken schieben sie ihre Röcke hoch und erleichtern sich, nach vorn gebeugt, den eigenen Blick nach unten gerichtet, um dem der anderen auszuweichen.

Die Mädchen auf der Hauptstraße der togolesischen Hauptstadt (ca. 800.000 Einwohner) haben ihre Höschen wieder hochgezogen und laufen kreischend ihren Schulkameraden nach.

Die Wahl des Gehsteigs war, vom hygienischen Standpunkt aus betrachtet, eigentlich gar nicht die schlechteste. Die Hände waschen sich trotzdem andere – nicht aber jene Kinder rund um den Globus, von denen alle 20 Sekunden eines stirbt.

DAS PROJEKT

Das Autorenduo Anna Mayumi Kerber und Niels Posthumusdurchquert auf dem Weg zur Fußball-WM im Juni in Südafrika Afrika von Marokko bis zum Kap der Guten Hoffnung; dort wollen die Vorarlbergerin und der Holländer bis zur WM sein. Ihre Berichte unter dem Motto „The Road to 2010“ erscheinen als Serie in der „Presse“.

www.theroadto2010.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.05.2010)

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