Glaubensklima

Alle Welt spricht vom Klimawandel. Nur die Religionsgemeinschaften sind kaum präsent. Dabei hätten sie manches einzubringen.

Vor genau einer Woche hat sie begonnen. Ja natürlich, die Intensivphase des Wahlkampfs. An der kommt man nicht vorbei, die ist aber nicht gemeint. (Politische Entscheidungen sind in den seltensten Fällen Glaubensfragen. Wenngleich sich häufig die Frage stellt: Wem glauben angesichts einer Flut gegenseitiger Vorwürfe?). Gemeint ist die fünfwöchige „Schöpfungszeit“, zu der die Kirchen aufrufen.

Gerufen ist womöglich das falsche Verb. Denn um vom Rufen sprechen zu können ist ein Mindestmaß an Lautstärke vorausgesetzt. Davon jedoch sind die Kirchen mindest 40 Dezibel entfernt. Dabei kann beim Thema Schöpfung – in die Sprache der Normalverbraucher übersetzt: Umwelt – derzeit eigentlich gar nichts falsch gemacht werden. Wenn das Mädchen Greta Thunberg als Klima-Missionarin über den Atlantik segelt, Meteorologen einen Temperaturrekord nach dem anderen melden und alle Parteien in Österreich versuchen, den Grünen deren Stammthema streitig zu machen. So viel Umweltschutz war selten. Verbal!

Den Religionsgemeinschaften gelingt aber sogar hier noch das bemerkenswerte Kunststück, etwas falsch zu machen. Während die Begriffe Klimawandel und Klimakrise in aller Munde sind, scheinen sie dazu zu schweigen oder schweigen tatsächlich. Zumindest ist von einem kraftvollen Propagieren der „Schöpfungszeit“, die sich auf dem Papier bis 4. Oktober erstrecken soll, weit und breit nichts zu erkennen. Papst Franziskus hat zu Beginn eine drastische Beschleunigung der Maßnahmen gegen den Klimawandel verlangt und dazu passend vor drastischen Worten nicht zurückgeschreckt. Andernfalls gehe der Planet „auf eine Begegnung mit dem Tod“ zu. Geschenkt.

Gleichzeitig warnte der Ökumenische Patriarch von Konstantinopel, Bartholomaios I., wörtlich vor dem „Fetischismus der Gewinnmaximierung“. Inwieweit er tatsächlich noch für die gesamte Orthodoxie spricht, müsste angesichts des von der Öffentlichkeit kaum registrierten Machtkampfs zwischen Istanbul und Moskau einmal einer genaueren Betrachtung unterzogen werden.

Sonst aber agieren Vertreter der Religionen sehr zurückhaltend, was ein Thema betrifft, das als eines der großen der Menschheit ausgemacht wird – zumindest derzeit. Wir erinnern uns an sauren Regen und Ozonloch, an Bereiche, in denen wegen oder trotz apokalyptischer Prophezeiungen ein Gegensteuern geglückt ist. Dabei gibt es Aberhunderte Initiativen in Pfarren und Gemeinschaften, wo ein achtsamer Umgang mit Ressourcen und Umwelt versucht wird, von Fotovoltaikanlagen bis zu Autofasten-Aktionen.

Alle Religionsgemeinschaften hätten hier auch praktische Kompetenz. Wahrnehmbar ist das nicht. Institutionen, die sich als unfähig erweisen, die Zeit für sich zu nützen, werden von ihr überrollt.

dietmar.neuwirth@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 08.09.2019)

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