Wie Orbáns Ungarn zu einer Pseudodemokratie mutiert

Politische Magazine in der angloamerikanischen Welt gehen mit Ungarns Premier hart ins Gericht. Der lässt kontern.

Dass er keine allzu gute Nachrede in den allermeisten Medien der westlichen Welt hat, dürfte der ungarische Premier, Viktor Orbán, inzwischen wegstecken. Dass er aber vom US-Politikwissenschaftler Larry Diamond (Stanford University) im elitären außenpolitischen Magazin „Foreign Affairs“ (4/2019) als „Vorbote der Welle des illiberalen Populismus“ bezeichnet wird, „der beim Absterben der ersten Demokratie in einem EU-Mitgliedstaat den Vorsitz führt“, dürfte Orbán dann doch sauer aufgestoßen sein. Staatssekretär Zoltán Kovács musste ausrücken, um die Dinge zurechtzurücken.

In einem Leserbrief an „Foreign Affairs“ (5/2019) schreibt er von wachsender Wahlbeteiligung in Ungarn, rekordtiefer Arbeitslosigkeit und rekordhoher Frauenbeschäftigung, Reallohnzuwächsen, robustem Wirtschaftswachstum, abnehmenden Abtreibungen und Scheidungen, aber zunehmenden Eheschließungen und Geburten. Und natürlich gehört im Vorbeigehen auch noch ein kräftiger Rempler gegen den Gottseibeiuns George Soros dazu.

Nur, erwidert Diamond, was hat das alles mit dem Zustand der Demokratie zu tun? Demokratie habe nichts mit der zunehmenden Zahl von Eheschließungen zu tun, „sondern damit, ob das Volk seine Führungspersönlichkeiten in freien und fairen Wahlen wählen und ersetzen kann. Und dabei versagt das jetzige politische System Ungarns“. Diamond nennt dann eine Reihe von Maßnahmen, mit denen Orbán seit Beginn seiner zweiten Regierungsperiode 2010 den Rechtsstaat ausgehöhlt hat, und kommt zum Ergebnis: „Orbán hat Ungarn nicht in eine illiberale Demokratie, sondern in eine Pseudodemokratie verwandelt.“

Auch der Londoner „Economist“ (31. 8.) widmet Orbáns Ungarn einen Leitartikel und eine vierseitige Analyse und kommt zu ähnlichen Schlüssen wie der US-Professor. Orbán habe weniger als die Hälfte der Wählerstimmen, aber alle Macht im Land – und er verhalte sich auch entsprechend. Das politische System habe er auf eine Weise umgebaut, dass seine Partei Fidesz es gar nicht nötig habe, zu Mitteln des Wahlbetrugs zu greifen – wie das ungehobeltere Autokratien tun. Längst hat Orbán alle wichtigeren Medien auf Linie gebracht, in Staat und Verwaltung sitzen überall seine Vertrauten. Auch der „Economist“ bestätigt, dass die wirtschaftlichen Kennziffern gut sind, wozu nicht zuletzt beiträgt, dass die Zuschüsse aus der EU 2,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts ausmachen.

Zitiert wird da auch die These des Soziologen und früheren Bildungsministers Bálint Magyar vom „Mafia-Staat“, zu dem Ungarn unter Orbán mutiert sei. „Unter Fidesz ist der Staat im Wesentlichen ein Vehikel, um sich der Wirtschaft zu bemächtigen und um die Gewinnströme zu den Getreuen zu leiten.“ Das wichtigste Gebot für die Orbán-Clique sei dabei Loyalität.

Schon im Juni widmete das US-Magazin „The Atlantic“ dem „Krieg Viktor Orbáns gegen den Geist“ einen langen Aufsatz: Ausführlich geschildert wird da die Vertreibung der Central European University aus Budapest: „Als Orbán sich gegen die CEU wandte, ging es nicht um politische Positionierung oder Groll. Die Zerstörung der bedeutendesten Institution für höhere Bildung war ein entscheidender Schritt bei seinem Streben nach ewigem politischen Leben.“ Dass die Universität nach Wien übersiedeln wird, passt dem „Atlantic“-Autor nicht wirklich. Noch verstörter ist er über den US-Botschafter in Budapest, David Cornstein, dem die Vertreibung der Uni „nicht wirklich“ Kopfzerbrechen bereitet.

E-Mails an: burkhard.bischof@diepresse.com

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