Formel 1: Ferraris Herz nach Monza-Sieg "trunken vor Glück"

Charles Leclerc
Charles LeclercAPA/AFP/ANDREJ ISAKOVIC
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Jungstar Charles Leclerc stellt Sebastian Vettel in den Schatten und das Potenzial des jungen Monegassen ist noch nicht ausgeschöpft.

Der Jungspund aus Monte Carlo hat erneut eines Kostprobe seines überbordenden Talents abgegeben. Nach dem Erfolg in Monza wurde Charles Leclerc von den Tifosi und der italienischen Öffentlichkeit frenetisch gefeiert. Nach 14 Saisonläufen ist die Hierarchie im Ferrari-Rennstall endgültig über den Haufen geworfen, Leclerc hat Sebastian Vettel auch in der WM-Wertung überholt.

Euphorisch dankten die Fans dem Sieger für die Rückeroberung ihres Heimreviers. Neun Jahre war es her, dass Fernando Alonso als letzter Fahrer in einem Ferrari in Monza gewonnen hatte. "Ein riesiges rotes Herz schlägt unter der Tribüne, trunken vor Glück", schrieb die "Gazzetta dello Sport" über den Triumph, den die Fans einem erst 21-jährigen Piloten in seinem zweiten Jahr in der Königsklasse zu verdanken hatten.

Der frühere GP2- und GP3-Meister feierte nach Spa-Francorchamps in der Vorwoche auf dem Autodromo Nazionale di Monza den zweiten Klassiker-Sieg in kurzer Zeit. Es war am Sonntag kein leichter Weg dorthin gewesen. Zumeist vom Mercedes-Duo Lewis Hamilton und Valtteri Bottas verfolgt und bedrängt, hielt Leclerc dem Druck bis zuletzt stand. Oder wie es die "Gazzetta" formulierte: Leclerc sei dem silbernen Tiger und dessen Klauen mit dem frechen Geschick Moglis aus dem Dschungelbuch entkommen. Die Flucht hinterließ Spuren: "Was für ein Rennen. Ich war noch nie so müde", schnaufte Leclerc nach seinem Sieg kräftig durch.

Wachablöse bei Ferrari

"Sebastian wird unser erster Fahrer sein", hatte Ferrari-Teamchef Mattia Binotto vor Saisonbeginn noch eine gläserne Decke eingezogen. Doch die Nummer zwei hat diese eindrucksvoll eingeschlagen. Der Jungstar mit dem bubenhaften Gesicht trat als elfter Ferrari-Sieger in Monza nicht nur in die Fußstapfen von Alberto Ascari, John Surtees, Gerhard Berger oder Michael Schumacher. Er hat just im für die Scuderia wichtigsten Rennen der Saison die Wachablöse enorm beschleunigt. Punktemäßig wäre sie bereits jetzt argumentierbar. Als neuer WM-Vierter (182 Punkte) hat er den seit über einem Jahr sieglosen Vettel (169) in der WM-Wertung überholt.

Vettel lieferte am Sonntag ungewollt weitere Beweise für die weitverbreitete Meinung, er würde unter Druck zu Fehlern zu neigen. Ein Dreher, eine Berührung mit dem Racing Point von Lance Stroll, die Bestrafung durch die Stewards als logische Konsequenz - überrundet und abschlagen kam Vettel als 13. ins Ziel. Es dürfte nach dem neuerlichen Fiasko auch psychologisch schwierig werden für den Deutschen. "Ich liebe noch immer, was ich mache, aber wenn du es nicht gut machst, kannst du auch nicht glücklich sein", sagte Vettel nach dem Rennen.

Nie der Lehrschüler

Leclerc war in der Formel1 nie Lehrschüler, Alfa Romeo Sauber im ersten Jahr nur Durchlaufstation. Dort lernte ihn im Vorjahr Josef 'Jo' Leberer kennen. Der Salzburger, einst langjähriger Physiotherapeut von Ayrton Senna, hat schon viele Talente gesehen. Von wenigen aber hat Leberer eine so hochstehende Meinung wie von Leclerc. Dieser erinnere ihn an Senna in dessen Anfangszeit, sagte Leberer bereits im Mai zur APA. Der Monegasse habe das Zeug zum Serienchampion. "Er ist ruhig, bescheiden, talentiert und lernt rasant." Für ihn, wie auch für viele andere, ist klar: "Leclerc ist 'die' Zukunftsfigur der Formel1."

Sein Potenzial ist offenkundig. Schon in seinen ersten Rennen für Ferrari war er nicht selten schneller als der vierfache Weltmeister Vettel. Als er noch mittels Stallorder eingebremst wurde, akzeptierte er das nur widerwillig, funktionierte das Funkgerät zur subtilen Waffe um: "Ich verliere ganz schön viel Zeit. Ich weiß nicht, ob ihr das wissen wollt oder nicht?", funkte er, nachdem er mit Vettel wieder einmal die Plätze hatte tauschen müssen und danach das Gefühl hatte, aufgehalten zu werden.

Es bleibt nun die Frage, wie Leclerc mit kommenden Rückschlägen umgehen wird. Dass er just in Belgien sein erstes Rennen gewann, als der PS-Tross vom Tod des F2-Fahrers Anthoine Hubert geschockt und traurig war, kommt wohl nicht von ungefähr. Leclerc hat früh gelernt, schicksalhafte Schläge einzustecken. Sein großes Vorbild ist Ex-F1-Pilot Jules Bianchi, der bei einem tragischen Unfall mit Todesfolge beim Japan-GP 2014 starb, er war Charles' Patenonkel. Und als Leclerc 19 war, starb sein Vater und größter Förderer Herve.

(APA)

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