Österreich als Wille und Vorstellung

(c) Peter Kufner
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Auch wenn Zuwanderung zurückgeht, ist Integration eine langwierige Aufgabe. Die Konvergenz der „Lebensstile“ bleibt ein Wunschtraum.

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Vorige Woche sind zugleich zwei Publikationen vorgestellt worden, die jeder lesen sollte, der sich in Österreich mit Migration, Zuwanderung, Asyl oder Integration beschäftigt und dazu äußert. Die eine ist der Integrationsbericht 2019, der vom Expertenrat für Integration des Außenministeriums herausgegeben wird, die andere das Statistische Jahrbuch Migration und Integration 2019, das die Statistik Austria herausgibt. Beide liefern umfassende Daten und Einschätzungen und können geradezu als Nachschlagewerke benützt werden.

Schon die nackten Zahlen verdeutlichen die Dimensionen der Aufgabe, vor der Österreich steht: Fast ein Viertel der in Österreich lebenden Personen, nämlich 2.022.200 Menschen, haben Migrationshintergrund, das heißt, beide Elternteile wurden im Ausland geboren. Dieser Anteil ist im vergangenen Jahrzehnt von 17,4 Prozent um rund 35 Prozent auf 23,3 Prozent gestiegen. 794.800 Personen stammen aus der EU, sie bilden die größte Gruppe, gefolgt von 532.400 aus dem ehemaligen Jugoslawien (ohne die EU-Staaten Slowenien und Kroatien) und der Türkei (269.800). 106.800 Menschen kommen aus Syrien, Afghanistan und dem Irak und 318.400 aus weiteren Drittstaaten. Mit 19,2 Prozent an Zugewanderten der ersten Generation liegt Österreich nach Luxemburg und Zypern an dritter Stelle in der EU. 2018 wurden 13.745 Asylanträge gestellt, damit liegt Österreich proportional zur Bevölkerung an neunter Stelle in Europa. Bei Asylanerkennungen allerdings befindet sich Österreich im EU-Vergleich mit 168 Anerkennungen auf 100.000 Einwohner mit Abstand an der Spitze. Das liegt zum einen daran, dass überproportional viele Anträge aus Kriegsländern wie Syrien gestellt werden, die eine Anerkennungsquote von bis zu 95 Prozent haben. Zum anderen an der Spruchpraxis der Berufungsgerichte, die die Entscheide der Asylämter häufig aufheben.

2018 zogen 146.900 Menschen nach Österreich, 111.600 verließen das Land. Die resultierende Nettozuwanderung von rund 35.300 lag um 21 Prozent unter dem Wert von 2017. Von den Zuwanderern kam mehr als die Hälfte aus der EU, angeführt von Rumänen (19.200) vor Deutschen und Ungarn. Der starke Rückgang der illegalen Migration über die bekannten „Routen“ (westliches und östliches Mittelmeer, Balkan) bedeutet allerdings nicht, dass die Zuwanderung in Europa und Österreich gleichermaßen zurückgeht.

Der Nachzug von Ehepartnern und Kindern zu bereits in Europa lebenden Verwandten ist unterdessen die quantitativ wichtigste Form der Zuwanderung von Drittstaatsangehörigen in die EU. Obwohl diese Form der Zuwanderung und die Heiratsmigration – eine in Österreich lebende Ankerperson heiratet jemanden aus dem Herkunftsland und holt ihn nach Österreich – zahlenmäßig keine große Rolle spielt, stellt sie doch eine Herausforderung aus integrationspolitischer Sicht dar.

Einerseits können Familiennachzug und Heiratsmigration für die neu Ankommenden die Integration erleichtern, weil sie Unterstützung durch die schon hier lebenden Familienangehörigen bekommen, anderseits kann es zu einer Perpetuierung von Integrationsproblemen kommen. So kann etwa die Herkunftssprache neuerlich zur Alltagssprache der Familie werden. Nachgeholte Ehefrauen sind oft auch unterdurchschnittlich gebildet, was ihre Integration in den Arbeitsmarkt erschwert.

Situation auf dem Arbeitsmarkt

Einer der Schwerpunkte des Integrationsberichts ist die Beteiligung von ausländischen Staatsangehörigen bzw. von Personen mit Migrationshintergrund auf dem Arbeitsmarkt. Die Beschäftigungsquote der 15- bis 64-Jährigen lag bei 66 Prozent gegenüber 75 Prozent von Menschen ohne Migrationshintergrund. Dabei gibt es große Unterschiede zwischen EU-Bürgern, die bei einer Rate von 73 Prozent liegen, und Drittstaatsangehörigen, die im Schnitt zu 62 Prozent beschäftigt waren. Zuwanderer aus Syrien, dem Irak und Afghanistan haben nur eine Rate von 36 Prozent. Ein Extremfall sind tschetschenische Flüchtlinge, von denen nach sieben Jahren (seit 2011) nur 20 Prozent arbeiten. Wo die Beteiligung am Arbeitsleben von Haus aus geringer ist, kann auch der allgemein starke Rückgang der Arbeitslosigkeit weniger wirken. Während die Arbeitslosigkeit unter Österreichern um zehn Prozent sank, ging sie bei ausländischen Arbeitslosen nur um drei Prozent zurück.

Eine Illustration der Diagnose des Integrationsberichts ist die Jobbörse, die das AMS Favoriten am 23. Jänner abgehalten hat und die zeigt, wie schwierig es ist, Asylberechtigte auf dem Arbeitsmarkt unterzubringen. Von 1040 Teilnehmern, die tatsächlich einen Bewerbungstermin absolviert haben, hatte drei Monate später nicht einmal ein Fünftel (184) eine Stelle. Oft scheitern die Asylberechtigten einfach daran, keinen eigenen Computer zu haben, denn die meisten Betriebe wickeln ihr Auswahlverfahren über Online-Bewerbungsportale ab. Die ÖBB, die auch an der Jobbörse teilnahmen, führten 31 Bewerbungsinterviews mit Asylberechtigten, eingestellt wurde kein Einziger. Selbst gute Bewerber kamen letztlich nicht zum Zug: Trotz des Hinweises, dass auch noch eine Onlinebewerbung notwendig sei, habe das „kaum jemand“ gemacht. Gute Kandidaten seien sogar extra noch einmal angerufen und gebeten worden, sich explizit auf eine Ausschreibung zu bewerben. Generell waren bei dem Unternehmen vorrangig unzureichende Deutschkenntnisse (etwa für Telefondienst mit Bundesländern), zu wenig bis gar keine Berufserfahrung oder die angebotenen Arbeitsbedingungen (Dienstort, Gehalt, Arbeitszeiten) der Grund für Absagen. Die Lage auf dem Arbeitsmarkt spiegelt sich in der Bedarfsorientierten Mindestsicherung. 2018 bezogen 308.200 Personen die BMS. 59 Prozent der Bezieher lebten in Wien. Während der Anteil an österreichischen Beziehern gegenüber 2017 um zehn Prozent sank, blieb er bei ausländischen Beziehern mit plus einem Prozent in etwa gleich. Insgesamt sind etwas mehr als ein Drittel der Bezieher von BMS Asyl- bzw. subsidiär Schutzberechtigte.

Nirgends wird die demografische Dynamik einer Einwanderungsgesellschaft deutlicher als in der Schule. Im Schuljahr 2017/2018 hatten im österreichischen Schnitt 26 Prozent der Schüler eine andere Umgangssprache als Deutsch. Im Schuljahr 2010/11 waren es noch 18,4 Prozent gewesen. In Wien betrug der Anteil 51,9 und in Vorarlberg 26,4 Prozent. In Wien beträgt der Anteil in Hauptschulen, NMS und polytechnischen Schulen 72 bzw. 74 Prozent.

Diese Daten sind die objektive Seite der Zuwanderung. Aber wie wird diese Lebenswirklichkeit von Einheimischen und Zuwanderern subjektiv erlebt? Die Statistik Austria befragt dazu Österreicher nach ihren Einstellungen und kommt zum Ergebnis, dass „das Ausmaß deklarierter Fremdenfeindlichkeit sehr gering ist“. Allerdings wünscht sich eine Mehrheit der Befragten eine „bessere Anpassung des Lebensstils der Ausländer an den der Österreicher“. Auf der anderen Seite werden Zugewanderte zu ihrer Akzeptanz eines nicht näher definierten „Lebensstils“ in Österreich befragt. Nur eine Minderheit von 15 Prozent lehnt die hiesige Lebensweise gänzlich oder weitgehend ab.

Debatte@diepresse.com

DER AUTOR

Hans Winkler war langjähriger
Leiter der Wiener Redaktion der
„Kleinen Zeitung“.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.09.2019)

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