Schottisches Gericht: Zwangspause für Parlament unrechtmäßig

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Kritiker warfen dem britischen Premier vor, mit der Zwangspause die Handlungsfähigkeit der Parlamentarier vor dem von Johnson anvisierten EU-Austritt am 31. Oktober einschränken zu wollen. Die Regierung legte sofort Berufung ein.

Ein schottisches Berufungsgericht hat die von Premierminister Boris Johnson auferlegte Zwangspause des britischen Parlaments für unrechtmäßig erklärt. Die Zwangspause sei "illegal", weil ihr offensichtliches Ziel sei, "das Parlament zu behindern", erklärte das Gericht am Mittwoch in Edinburgh. Die Entscheidung Johnsons sei "null und nichtig".

Die britische Regierung kündigte umgehend an, gegen das Urteil in Berufung zu gehen. Für Johnson ist es jedenfalls nach den Niederlagen zuletzt im britischen Parlament eine weitere Schlappe. "Wir sind enttäuscht von der heutigen Entscheidung und werden in Berufung gehen", hieß es in einer von Downing Street veröffentlichten Erklärung.

Geklagt hatten etwa 75 Parlamentarier. Sie sehen in der von Johnson erwirkten wochenlangen Schließung des Unterhauses vor dem am 31. Oktober anstehenden EU-Austritt des Landes eine unzulässige Einschränkung des Parlaments: Johnson wollte so verhindern, dass das Unterhaus ihm und seinem harten Brexit-Kurs in die Quere komme, argumentieren sie.

Ähnliche Klagen wurden auch vor Gerichten im nordirischen Belfast und in London eingereicht. Eine Klage in erster Instanz vor dem Court of Session in Schottland war zunächst gescheitert. Auch der High Court in London hatte eine ähnliche Klage zunächst abgewiesen. Eine endgültige Entscheidung dürfte nun das oberste Gericht in Großbritannien, der Supreme Court, treffen.

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„Zum Schweigen gebracht“

Die Parlamentsschließung war in der Nacht auf Dienstag wirksam geworden, bei der Zeremonie war es zu tumultartigen Szenen im Unterhaus gekommen. Abgeordnete der Opposition hielten Protestnoten mit der Aufschrift "Zum Schweigen gebracht" hoch und skandierten "Schande über Euch" in Richtung der Regierungsfraktion. Parlamentspräsident John Bercow sprach von einem "Akt exekutiver Ermächtigung". Labour-Chef Jeremy Corbyn warf Johnson vor, er schließe das Parlament, um keine Rechenschaft mehr ablegen zu müssen. Die Abgeordneten sollten erst am 14. Oktober wieder zusammentreten.

Es war der Höhepunkt einer mehrtägigen Serie von Niederlagen für Johnson: In einem Eiltempo hatten beide Kammern des Parlaments in der vergangenen Woche ein Gesetz gegen einen ungeregelten EU-Austritt durchgepeitscht. Es trat am Montag in Kraft. Demnach soll der Brexit auf den 31. Jänner 2020 verschoben werden, sollte bis zum 19. Oktober keine Vereinbarung mit der EU über den Austritt Großbritanniens stehen. 

Zudem war Johnson zwei Mal mit einem Antrag auf Neuwahl gescheitert. Es gibt damit keine Möglichkeit mehr für eine Neuwahl vor dem geplanten Brexit-Datum. An ihrem letzten Sitzungstag vor der fünfwöchigen Sitzungspause hatten die Abgeordneten außerdem für die Herausgabe von Regierungsdokumenten und interner Kommunikation, die zur Entscheidung für die auferlegte Zwangspause geführt hatte, gestimmt. Auch in private Emails und Nachrichten aus Kurznachrichtendiensten wollen die Parlamentarier einsehen.

(APA/dpa/AFP)

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