Gib dein Herz drauf!

Maya Gelfman und Roie Avidan vor der Installation, die sie im Rahmen des Levin Statzer Jam bei der Nordbrücke in Wien gestaltet haben. Roter Faden ist eines der Materialien, mit denen sie oft arbeiten.
Maya Gelfman und Roie Avidan vor der Installation, die sie im Rahmen des Levin Statzer Jam bei der Nordbrücke in Wien gestaltet haben. Roter Faden ist eines der Materialien, mit denen sie oft arbeiten.(c) Daniel Novotny
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Maya Gelfman und Roie Avidan markieren besondere Orte in der ganzen Welt – und jetzt in Wien. Sie selbst haben einen radikalen Schritt gemacht.

Wenn man sich nach einer Stunde von Maya Gelfman und Roie Avidan verabschiedet, bekommt man keinen Handschlag angeboten – sondern eine Umarmung. „Das ist so mit uns“, sagt Avidan. Die beiden israelischen Künstler sind es gewöhnt, sich auf neue Menschen einzulassen. Immerhin haben sie zuletzt gut ein Jahr lang kaum etwas anderes gemacht als das – auf ziemlich radikale Art und Weise.

Doch von vorn. Gelfman (40) und ihr Partner Avidan (42), die den ganzen September auf Einladung der Galerie AG 18 in Wien sind, wo Gelfman auch eine Einzelausstellung hat, haben sich in den vergangenen Jahren international vor allem mit „Mind the Heart“ einen Namen gemacht: einem Projekt, das 2009 mit Postern von Gelfmans Zeichnungen als Street-Art in ihrer Heimatstadt, Tel Aviv, begonnen hat und das inzwischen von Installationen im Wald bis zu Vorlesungen reicht.

Der rote Faden ist mitunter tatsächlich einer. Oft sind es Gebilde aus roter Wolle, die Gelfman und Avidan an scheinbar beliebigen Orten hinterlassen: häufig Herzen oder Vögel, teilweise kombiniert mit Worten wie derzeit bei der Nordbrücke, wo sie am Wochenende bereits gearbeitet haben. Es können aber auch rote Fäden aus einer ausrangierten Dachrinne laufen oder einen Riss im Beton kitten – und so erst den Blick darauf lenken.

Unzählige Orte in der ganzen Welt haben sie so schon markiert, häufig welche, die ihnen beim Herumstreifen durch eine Stadt ins Auge springen – was sie dieser Tage auch in Wien tun. „Es sind Plätze, von denen wir finden, dass sie Aufmerksamkeit wert sind, wo Schönheit im Verfall sichtbar wird, Ordnung im Chaos“, sagt Avidan. „Wir sind von so vielen schönen Dingen umgeben, wenn man sie nur einmal kurz aus dem Kontext nimmt.“

Ein Beispiel dafür ist eine verfallene Wand mit Plakatresten und herausgebrochenem Putz, auf die Gelfman und Avidan zwei rote Herzen in einem Pappkartonrahmen geklebt haben: „Das ist nur eine Wand in Tel Aviv – aber wenn man sich diesen Ausschnitt anschaut, sieht sie fast aus wie ein Ölgemälde, wie eine ästhetische Komposition“, sagt Avidan. „Man soll nicht auf die Herzen schauen – sondern auf die Umgebung.“

Im Kern geht es bei „Mind the Heart“ – bei dem Gelfman und Avidan übrigens auch anderen Menschen Herzen geben, die diese irgendwo aufkleben – um Achtsamkeit. Auf Hebräisch heißt das: sein Herz drauf geben. Es geht um Achtsamkeit für einen selbst, für die Umgebung, die Mitmenschen. „Unser Projekt befindet sich an der Schnittstelle von Kunst und sozialem Bewusstsein“, sagt Gelfman. „Es geht darum, einen wieder in den Moment zurückzubringen“, sagt Avidan. „Darum, jetzt hier zu sein.“

In Tel Aviv alles aufgegeben

Irgendwie ein Resultat davon ist auch der eingangs erwähnte radikale Schritt: Die beiden Künstler überlegten monatelang, was ihnen wirklich wichtig ist, um einen erfüllten Tag zu erleben – und gaben vor gut zwei Jahren alles auf – Wohnung, Ateliers, Haustiere –, um mit zwei Koffern in die USA zu fliegen. Wo sie sich einen Van kauften und zu allem Ja sagten, was ihnen andere vorschlugen – sofern es nicht gefährlich war. „Wir haben uns in die Hände des Unbekannten begeben.“

Fremde bestimmten ein Jahr lang ihre Route, ihren Tagesablauf, ihre täglichen Erfahrungen. „Wenn einer gesagt hat, geht doch mit meinem Cousin auf einen Kaffee, dann haben wir das gemacht“, sagt Avidan. Dabei ist ziemlich viel zustande gekommen: Sie fuhren 40.000 Meilen, machten in 43 Staaten Projekte, von der Wandinstallation über den Nachmittag im Communitycenter bis zum Vortrag an der Eliteuniversität, für Maya Gelfman ergaben sich sechs Soloausstellungen.

Seit gut einem Jahr ist das Experiment – oder die Performance – vorbei. „Inzwischen erlauben wir uns wieder etwas mehr Planung, sonst wäre so etwas wie das in Wien nicht möglich“, sagt Maya Gelfman. „Sonst wären wir jetzt auch nicht in Wien.“ Wie es weitergeht? „Der Van wartet in Orlando auf uns“, sagt Avidan. Und rote Fäden werden wohl in Zukunft noch an vielen Orten auftauchen.

Auf einen Blick

Maya Gelfman (40) und Roie Avidan (42) sind mit ihrem Kunstprojekt „Mind the Heart“ international bekannt geworden. Auf Einladung der Galerie AG 18 sind sie den September über in Wien. Neben der Nordbrücke, bei der sie schon eine Wand gestaltet haben, sind zahlreiche Aktionen geplant, unter anderem in Magda's Hotel. Zudem erhalten Wiener rote Herzen, um ihrerseits Orte zu markieren. Die Soloausstellung „form, re-form“ von Maya Gelfman in der Galerie in der Annagasse 18 wurde am Donnerstag eröffnet. Mehr unter ag18.at.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 13.09.2019)

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