Analysen von Algorithmen und Ahnenbäume

Ein Mathematiker auf informatischen und genomischen Abwegen in Frankreich: Michael Wallner.
Ein Mathematiker auf informatischen und genomischen Abwegen in Frankreich: Michael Wallner.(c) Privat
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Michael Wallner erforscht an der Universität Bordeaux, wie Verwandtschaftsverhältnisse von einzelnen Spezies realitätsgetreu abgebildet und Daten auf DVDs, Festplatten und Handys effizient gespeichert werden können.

Zielstrebig ist Michael Wallner. Der Mathematiker folgte auf seinem wissenschaftlichen Weg den Koryphäen seines Metiers. Viele sind es nicht. Immerhin geht es in seinem Forschungsfeld um einen sehr spezifischen Teilbereich der diskreten Mathematik, in dem nur ein paar Hundert Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler weltweit tätig sind. So forschte Wallner bereits in London, Taipeh und Paris bei den Besten – seit eineinhalb Jahren unter den Fittichen der Mathematikerin Mireille Bousquet-Mélou am Laboratoire Bordelais de Recherche en Informatique (LaBRI) der Universität Bordeaux.

Das Labor liegt in Talence, einem Vorort von Bordeaux – dem wissenschaftlichen Zentrum des französischen Südwestens. Die Kleinstadt ist geprägt vom größten Campus der Universität Bordeaux, die zur Zeit der Mai-Unruhen während der 68er-Bewegung großteils hierher ausgelagert wurde. Es galt, die „Unruhestifter“ aus dem Zentrum zu entfernen.

Netzwerken auf Französisch

Verschlafen ist Talence, ein Weinbauort der Region Graves, seitdem nicht mehr. Hier genießt der 31-jährige Österreicher nicht nur die herrlichen Cuvées, sondern vor allem die offene Forschungsatmosphäre: „Gerade im Bereich der Grundlagenforschung ist der Konkurrenzkampf nicht so groß und Ideen werden ausgetauscht.“ Das sei nicht unbedingt ein Spezifikum des LaBRI, aber die Willkommenskultur, die er an der Universität Bordeaux erlebt, wolle er dennoch hervorheben. Generell sei das akademische Umfeld in Frankreich ein Segen: „Man kann sich sehr gut weiterentwickeln und kommt schnell in Kontakt. Ich habe mir hier wirklich ein sehr gutes Netzwerk aufgebaut.“

Bei der analytischen und enumerativen Kombinatorik, Wallners Spezialgebiet, geht es ums Zählen – etwa von gewissen Strukturen, die in Problemen in der Informatik auftauchen. Das prominenteste Gebiet, auf dem Wallner forscht, ist die Analyse von Algorithmen. Er modelliert diese mathematisch und leitet bestimmte Eigenschaften wie Speicherverbrauch oder Laufzeit ab, um sie daraufhin zu optimieren. Im besten Fall greift die Informatik das Ergebnis auf und verbessert die Algorithmen, woraufhin die Mathematiker diese erneut unter die Lupe nehmen können. Außerdem beschäftigt sich Wallner mit Datenstrukturen und verlustfreien Kompressionsverfahren. „Ziel ist zum Beispiel, dass man mehr Fotos auf dem Handy haben oder längere Videos abspielen kann. Wir in der Grundlagenforschung leisten die Vorarbeit dafür.“

Die Kombinatorik, die in Österreich Teil der Mathematik ist, gehört in Frankreich zur Informatik: „Das ist historisch so gewachsen und hat auch Sinn, weil viele Ideen aus der Informatik kommen.“ Das Wechselspiel zwischen den Disziplinen beschäftigt Wallner seit seiner Dissertation an der Technischen Universität (TU) Wien, in der er sich auf Gitterwege und baumähnliche Strukturen in der Mathematik spezialisiert und stets nahe an der Informatik gearbeitet hat.

Durch das fachlich breit aufgestellte Team in Bordeaux ergaben sich für Wallner auch neue Anknüpfungspunkte und Forschungsprojekte. Neben Ausflügen in die Netzwerktechnik und die Funktionsweise von Website-Protokollen beschäftigt er sich derzeit mit der Mathematischen Biologie im Bereich der Phylogenomik. Dabei geht es um die Analyse von Stammbäumen unter Verwendung von sequenzierten Genomen. „Um das Verwandtschaftsverhältnis von Spezies abzubilden, werden Ahnenbäume oder Genbäume verwendet“, erklärt Wallner. „Diese zwei Modelle passen nicht ganz zusammen. Beim makroskopischen Vergleich von zum Beispiel Aussehen, Verhalten und Nahrung ergibt sich bei manchen Arten ein anderes Verwandtschaftsverhältnis, als wenn man sich die Gene anschaut.“ Er versucht nun, ein neues Modell zu entwickeln, das beide Varianten verbindet und die Realität besser abbildet.

Was Wallner in Frankreich positiv aufgefallen ist: das Image „seines“ Faches. „Die Menschen haben Respekt davor, aber Mathematik ist hier nicht so ein Angstfach wie in Österreich.“ Das habe möglicherweise auch mit Öffentlichkeitsarbeit zu tun. „Die Leute gehen in Frankreich viel mehr hinaus in die Gesellschaft und sprechen darüber, was sie tun.“ Was ihm weniger gefällt: „Dass in Frankreich der Fokus auf der Ausbildung von Eliten liegt. Man versucht, die Besten der Besten auszubilden. Bei uns, so scheint mir, wird schon mehr Wert darauf gelegt, in die Breite zu gehen und gemeinsam zum Erfolg zu kommen.“

Am Abend ein Flascherl Wein

Der Mathematiker, der im burgenländischen Unterwart aufgewachsen ist, ist mittlerweile zu einem Kenner der hiesigen Cuvées geworden. „Der Wein ist Teil der Kultur, das habe ich zu schätzen gelernt. Alle sind weniger gestresst, man geht abends noch zusammen auf ein Bier oder ein Flascherl Wein. Und dann das gute Essen! Ja“, schwärmt er. „manche Klischees stimmen eben doch.“

Wallner bleibt noch ein knappes halbes Jahr in Frankreich, bevor er an die TU Wien – und zu seiner Frau, ebenfalls eine Mathematikerin – zurückkehrt. Die beiden führen derzeit, das ist der einzige Wermutstropfen des Auslandsaufenthalts, eine Fernbeziehung. „Aber zum Glück gibt es Direktflüge.“

ZUR PERSON

Michael Wallner (31) studierte an der TU Wien und an der Brunel University London Technische Mathematik mit Fokus auf Computerwissenschaften. Sein Doktorat machte er an der TU Wien und promovierte 2017 sub auspiciis. Es folgten Forschungsaufenthalte in der taiwanesischen Hauptstadt, Taipeh, und Paris. Derzeit arbeitet Wallner als Postdoc und Erwin-Schrödinger-Fellow im Laboratoire Bordelais de Recherche en Informatique (LaBRI) an der Université Bordeaux.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.09.2019)

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