Die österreichische Art des Erinnerns

Die Wiener Gestapo-Leitstelle befand sich am Morzinplatz, heute erinnert ein Denkmal an ihre Opfer.
Die Wiener Gestapo-Leitstelle befand sich am Morzinplatz, heute erinnert ein Denkmal an ihre Opfer.(c) Lobinger, Franz / ÖNB-Bildarchi (Lobinger, Franz)
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Die interaktive und öffentlich abrufbare Landkarte „Porem“ erfasst alle rund 1800 Erinnerungszeichen zum Austrofaschismus und Nationalsozialismus in der Stadt Wien.

Ist das Heldendenkmal im Äußeren Burgtor der Wiener Hofburg eine Hinterlassenschaft des austrofaschistischen Regimes? Ist es der zentrale Ort des Gedenkens an die Wehrmachtsoldaten? Oder ist es ein markanter Platz, der auch heute für Kundgebungen aller Art genutzt werden darf? Die Diskussionen darüber waren zeitweise intensiv, etwa als Anfang der 2010er-Jahre Burschenschafter und freiheitliche Aktivisten das Denkmal am 8. Mai, dem Tag der Befreiung, für Trauerkundgebungen nutzten.

Sicher ist nur, dass es ein besonders öffentlichkeitswirksames Beispiel jener rund 1800 Erinnerungszeichen zur politischen Gewalt des Austrofaschismus und Nationalsozialismus darstellt, die seit 1945 in Wien errichtet wurden. Dazu gehören Gedenktafeln, Bodenplatten, Installationen, Ausstellungen, Erläuterungen zu Verkehrsflächen und Parkbenennungen sowie Denkmäler.

 

Aktualisierte Erinnerungen

Was mit dem Heldendenkmal geschehen soll, werde heute trotz aller Aufregungen in der jüngeren Vergangenheit hinter verschlossenen Türen diskutiert, sagt der Historiker und Politikwissenschaftler Peter Pirker vom Institut für Staatswissenschaft der Universität Wien. „Das ist recht typisch für die österreichische Erinnerungspolitik. Im Unterschied zu Deutschland gibt es sehr wenig politische Diskussionen.“

Pirker ist Leiter eines Großprojekts, in dem Wissenschaftler alle Erinnerungszeichen der Stadt Wien erfassen, analysieren und in einer interaktiven Landkarte der Öffentlichkeit zugänglich machen. Das kürzlich von der Internationalen Kartographischen Vereinigung (ICA) ausgezeichnete Projekt „Porem“ (Politics of Remembrance and the Transition of Public Spaces) ist umso bedeutender, als bisher kaum Übersichten in digitalisierter Form existierten. „Wir haben das Verzeichnis aus einer Vielzahl verschiedener Quellen in mühsamer Kleinarbeit erstellt und dann per Fahrrad in der gesamten Stadt Feldforschung betrieben, um die Symbole zu fotografieren und dann zu analysieren“, sagt Pirker.

Damit auch die breite Öffentlichkeit einen leicht zugänglichen Einblick erhält, suchten die Wissenschaftler den Kontakt mit der Stadt Wien. In deren historischem Portal „Wien-Geschichte-Wiki“ finden sich nun ebenfalls alle Erinnerungszeichen in einer Karte verzeichnet, mit Texten erläutert und bebildert.

 

Überlagerte Erinnerungen

Dieser Tage wurden in die „Porem“-Website auch 102 Erinnerungszeichen aufgenommen, die im Gedenkjahr 2018 neu errichtet wurden. „Das ist von der Anzahl her etwas weniger als im Erinnerungsjahr 2008. Da es bis Mitte der 2000er-Jahre kaum Erinnerungszeichen für deportierte, vertriebene und ermordete Juden in der Stadt gab, hat es vor etwa zehn Jahren starke Bedürfnisse von Überlebenden und Nachkommen gegeben, entsprechende Zeichen zu setzen“, so der Historiker.

Einige Bereiche der Stadt weisen laut Pirker eine dichte Überlagerung von Erinnerungsschichten auf. „Signifikant ist, dass es dabei kaum zu Überschreibungen, Löschungen oder Entfernungen kam. In Wien wird in das Bestehende kaum eingegriffen, Neues entsteht durch Hinzufügung von Symbolen, die das Alte kommentieren und damit doch verändern.“ Solche transparenten Schichtungen seien beispielsweise im Universitätsviertel, im politischen Zentrum, aber auch in Teilen von Floridsdorf und Brigittenau entstanden.

 

Gefilterte Erinnerungen

Partner des Projekts „Porem“ waren die Boku Wien und ein Team der Kunstuniversität Linz, das für die Umsetzung einer digitalen Karte zur Visualisierung aller Daten zuständig war. „Die eigentliche Herausforderung war es, eine Visualisierungsform zu finden, die sowohl der räumlichen als auch der zeitlichen Dimension des Projekts gerecht wurde“, sagt Tina Frank, Designerin und Universitätsprofessorin in Linz. „Letztendlich entwickelten wir eine interaktive Karte mit verschiedenen Funktionen und Filtern, die über eine Zeitleiste navigiert werden kann.“ [ Foto: Privat ]

Web: www.porem.wien,

 

www.geschichtewiki.wien.gv.at/POREM

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.09.2019)


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