Niederösterreicher kühlen Europas neue Weltraumraketen

Ariane 6 in der Version A64, also mit vier Boostern am Rumpf.
Ariane 6 in der Version A64, also mit vier Boostern am Rumpf. (c) David Ducros
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Ruag Space Austria in Berndorf hat ein leichtes Verbundmaterial entwickelt, aus dem sich Hitzedämmelemente für Raketentriebwerke schneidern lassen. Sie kommen ab 2020 bei der neuen europäischen Ariane 6 zum Einsatz – und könnten ein Weltmarkterfolg werden.

Wenn 2020 die erste europäische Rakete der neuen Serie Ariane 6 vom Startplatz Kourou in Französisch-Guayana mit Donner und Feuer gen Himmel steigt, wird Technik aus Niederösterreich an Bord sein, die für deren Hersteller gleichermaßen etwas Altbekanntes wie etwas Neues ist. Wie das geht?

Besagte Firma – RUAG Space Austria in der altehrwürdigen Industriestadt Berndorf am Rand des Wiener Beckens – ist einerseits seit Jahrzehnten dadurch bekannt, dass sie unter anderem vielschichtige Thermoschutzfolien erzeugt, mit denen man die Kernsysteme von Satelliten und Raumsonden einwickelt wie Zuckerl und Pralinen, damit sie vor Mikrometeoriten und vor allem den starken Temperaturschwankungen im All geschützt sind und in einem halbwegs gleichförmigen Temperaturbereich arbeiten können.

Die Schwankungen sind sehr groß: Auf der sonnenabgewandten Seite eines Satelliten etwa können durchaus minus 150 Grad und weniger herrschen, auf der sonnenzugewandten 150 Grad und mehr. Die Temperaturdifferenz, die den Systemen zusetzt, hängt von der Höhe der Umlaufbahn ab und wird bei Objekten, die tiefer ins All fliegen, noch extremer, vor allem, weil es kälter wird, bis in die Nähe des absoluten Nullpunkts (minus ca. 273 Grad Celsius).

Bei Ariane 6 sind die Ansprüche an die außen meist gold- und silberfarbenen Folien, mit denen die Berndorfer zumindest in Europas Space-Markt ein Monopol haben, indes weit härter: Vor zwei Jahren kam vom Ariane-Hersteller ArianeGroup, einem bei Paris ansässigen Joint Venture von Airbus und der französischen Firma Safran, der Auftrag, Isolationen für die Haupttriebwerke der Ariane 6 zu entwickeln: also für den mächtigen Vulcain-Motor der Stufe eins und den schwächeren Vinci-Motor der Oberstufe. Sie erzeugen um sich herum Temperaturen von 1500 Grad und mehr, im Inneren ein Mehrfaches davon (mehr als 3000 Grad)

Mehrlagiger Hitzeschutz

Es gilt, Teile der Triebwerke thermisch voneinander abzuschirmen und Nahbereiche des Raketenkörpers zu schützen, etwa Triebwerksaufhängung, Raketenhülle und Treibstoffleitungen mit ihrem Inhalt aus Flüssigwasserstoff und -sauerstoff. Bisher machte man solche Dämmungen etwa aus Keramik, Grafit und mit Kühlsystemen. Aktuelle Schutzfolien halten laut Andreas Buhl, aus dem Allgäu stammender Geschäftsführer von Ruag Space Austria, etwa 600 Grad aus.

Also musste man sich etwas Neues überlegen. Es gelang: Man konnte vom über fast 30 Jahre gesammelten Wissen viel ableiten, so Buhl – und hat nun ein neues Produkt, das man weltweit anbietet, zuletzt beim US-Raketenbauer United Launch Alliance.

Am Donnerstag wurde in Berndorf eine neue Halle für die Fertigung des Hitzeschutzes eingeweiht. Dieser besteht aus vielen dünnen Lagen aus Stoffen wie Glas- und Keramikfaser, Metallen und Filz. Sie werden von Fachkräften übereinandergelegt (eine Arbeit von fast meditativer Art),  zurechtgeschnitten und mit Fäden aus Keramik, die spröde sind und daher leicht brechen, händisch zusammengenäht. Das ergibt passgenaue Einzelanfertigungen von Elementen, die für die Ariane 6 einige Zentimeter dick und außen grau bis rosa sind.

Handschuhe sind angeraten

„Sie wollen das sicher nicht angreifen“, warnt eine Schneiderin, die so ein polsterartiges Teil am Rande der Einweihungsfeier in behandschuhten Händen hält und der „Presse" zeigt. „Das sind Mikrofasern. Das nadelt ziemlich. Wie bei Tellwolle, aber ärger.“ Kaum zu glauben, dass das weich aussehende Ding Hitze trotzt, bei der Eisen schmilzt. Allerdings muss es das relativ kurz: Der Vulcain-Motor brennt siebeneinhalb Minuten, Vinci auch nur bis zu 15 Minuten. Letzteren kann man mehrfach ein- und ausschalten, um Satelliten an verschiedenen Positionen abzusetzen.

Ariane 6 löst bis 2023 Ariane 5 ab, die schon seit 1996 fliegt und eine Erfolgsrate von zuletzt 96 Prozent hat. Der allererste Ariane-Flug fand 1979 statt. Die Neue soll mit Startkosten von 75 bis 90 Mio. Euro (Daten von 2014) 40 Prozent billiger sein und die jährlichen Starts auf zwölf verdoppeln, wobei die Nutzlast je nach Modell (zwei oder vier Booster-Hilfsraketen) bis zu 21 Tonnen in niedrige Erdorbits beträgt, und entsprechend weniger in höhere Bahnen und zu Transferorbits Richtung Mond und darüber hinaus.

Der bisherige Auftrag liege vorerst im niedrigen Millionen-Euro-Bereich, sagt Buhl. Zehn zusätzliche Jobs für hoch qualifiziertes Personal wurden geschaffen. Ruag Space Austria beschäftigt in Berndorf etwa 25 Personen, samt der Zentrale in Wien sind es 250. Man fertigt auch elektronische und mechanische Teile für Satelliten und Raketen, Wärmeisolationen etwa für medizinische Geräte und ist Österreichs größte Raumfahrtfirma.

Tochter von Schweizer Militärkonzern

Gegründet in den 1980ern als Tochter von Saab Ericsson Space gehört die Firma seit 2008 zum Schweizer Ruag-Konzern. Der wiederum entstand 1998 aus Firmen des Schweizer Militärs (Ruag steht für Rüstungsunternehmen AG) und ist aktuell zu etwa 44 Prozent im militärischen und zu 56 Prozent im zivilen Sektor tätig, in den Bereichen Luft- und Raumfahrt, Sicherheit und Wehrtechnik. 2018 schaffte Ruag mit mehr als 9100 Mitarbeitern weltweit rund 1,8 Milliarden Euro Umsatz.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.09.2019)

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