Premierminister Johnson reiste nach Luxemburg zu einem Arbeitsessen mit Kommissionschef Juncker. Konkrete Vorschläge zum Austrittsabkommen hatte er nicht im Gepäck.
Luxemburg. Zumindest die Website der luxemburgischen Restaurants Le Bouquet Garni war den hohen Erwartungen der britischen Europagegner nicht gewachsen: Nachdem bekannt geworden war, dass das gestrige Treffen zwischen Boris Johnson und Jean-Claude Juncker in ebendiesem Etablissement stattfinden würde, brach www.lebouquetgarni.lu unter dem Ansturm der digitalen Schaulustigen zusammen – nur den Recherchen der ins Großfürstentum geeilten Reporter hatten die Briten die wirklich wichtigen Informationen des mittlerweile 1180. Tages seit der Abhaltung des Brexit-Referendums am 23. Juni 2016 zu verdanken: Spezialität des Hauses seien demnach Eierschwammerln, und das Mittagsmenü komme auf vergleichsweise wohlfeile 38 Euro.
Keine neuen Vorschläge
Ob die Befürworter des Austritts in der eigentlichen Sache auf ihre Kosten gekommen sind, hängt von ihren Präferenzen ab. Die Brexit-Ultras, die einen harten Bruch mit Brüssel herbeisehnen, dürften darüber erfreut gewesen sein, dass der britische Premier und der EU-Kommissionspräsident einander inhaltlich nicht nähergekommen sind: Johnson habe keine konkreten Vorschläge zur Umgestaltung des Austrittsabkommens geliefert, hieß es in einem Kommuniqué der Brüsseler Behörde. Anhänger der einvernehmlichen Scheidung wiederum durften von der Beteuerung angetan sein, die Kommission sei bereit, konstruktive Ideen zu prüfen.
Doch die Uhr tickt immer lauter. Der aktuelle, bereits zweite Aufschub des Austritts läuft am 31. Oktober ab. Johnson hat gestern erneut ausgeschlossen, in Brüssel um eine weitere Fristverlängerung anzusuchen. Und ohne einen Deal, der von allen britischen Instanzen fristgemäß abgesegnet werden muss, scheidet Großbritannien zu Halloween automatisch ohne Abkommen aus der EU aus.
Dieses Wunschszenario der Hardliner scheint momentan weniger wahrscheinlich, da das britische Parlament die Regierung zuletzt dazu verpflichtet hat, einen Aufschub zu beantragen, falls sich im Oktober keine einvernehmliche Lösung abzeichnen sollte. Dieser Aufschub müsste aber erstens gut begründet und zweitens von allen restlichen 27 EU-Mitgliedern bewilligt werden. Als Begründung infrage kämen beispielsweise vorgezogene Neuwahlen, um neue Mehrheitsverhältnisse im Unterhaus herzustellen – denn bis dato hat es dort kein Votum für eine konkrete Austrittsvariante gegeben.
Nach einer Revolte des gemäßigten Flügels der Tories verfügt Johnson über keine Mehrheit im Unterhaus mehr. Paradoxerweise könnte das seine Aufgabe erleichtern. Der Stolperstein auf dem Weg zum Brexit-Deal ist der sogenannte Backstop, der Grenzkontrollen zwischen Nordirland und der Republik Irland verhindern soll. Die momentane Variante der Rückversicherung sieht vor, dass das ganze Vereinigte Königreich im regulatorischen Orbit und in der Zollunion der EU verbleiben soll – so lange, bis alternative Arrangements oder ein Handelsabkommen den Backstop überflüssig machen.
Die Ausdehnung der ursprünglich nur für Nordirland vorgesehenen Klausel war notwendig geworden, als die Tories nach der Wahl 2017 ihre Parlamentsmehrheit verloren und die Unterstützung der nordirischen DUP-Partei im Unterhaus benötigt hatten – die Unionisten lehnen alles ab, was die Bande zwischen Nordirland und Großbritannien schwächt. Nun aber ist Johnson nicht mehr auf die DUP angewiesen und könnte, so die Spekulation, die Rückkehr zur „alten“ Backstop-Variante als Verhandlungserfolg verkaufen und in die Neuwahlen ziehen – in der Hoffnung auf die Wiederherstellung einer Tory-Mehrheit.
Die Zeiten, in denen Johnson von der EU Zugeständnisse einforderte, bevor er ihre Vertreter treffen wollte, scheinen jedenfalls definitiv vorbei zu sein: Man habe sich darauf verständigt, die Kontakte zu intensivieren, hieß es gestern aus London – sowohl auf politischer als auch auf technischer Ebene, wo es demnächst „Treffen auf täglicher Basis“ geben soll.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 17.09.2019)