Der heitere Kontrollverlust im Brexit

Humor und Fatalismus scheinen die einzigen Mittel zu sein, Britanniens Austritt zu verkraften.

Wenn sich der britische Premierminister mit Hulk vergleicht, die BBC-Podcast-Serie „Brexitcast“ mit Lachsalvenpotenzial die Entwicklung in Westminster begleitet und Brüsseler Diplomaten dem heiteren Fatalismus verfallen, ist irgendetwas aus dem Ruder gelaufen. So sehr, dass es besser wäre, die Pläne für den britischen EU-Austritt ad acta zu legen, bis sich alle wieder beruhigt haben.

Es ist, als ob Boris Johnson Hauptdarsteller einer Realsatire geworden wäre und sich nur noch krampfhaft darum bemühte, täglich neue – immer irrere – Cliffhanger zu produzieren. Damit sich das ermüdete Publikum nicht abwendet.

Die Briten sind wohl auch deshalb geneigt, alles zu akzeptieren, selbst das Unvernünftigste, nur damit das Ende endlich möglich wird. Das ist die große Gefahr dieser Entwicklung: Noch nie war es so wahrscheinlich, dass Großbritannien am 31. Oktober tatsächlich in den Hard Brexit rutscht, nur weil keine der Seiten mehr mit Ernst bei der Sache ist. Wie sagt Johnsons neues Vorbild Hulk: „Weißt du, was mir am meisten Angst macht? Wenn ich nicht mehr dagegen ankämpfen kann und total die Kontrolle verliere, dann . . . genieße ich das.“

Höchste Zeit für eine Wendung. Eine, in der die Vernunft wieder Oberhand bekommt: weil sich die EU und Großbritannien weiterhin brauchen, sie ohne einander viel schwächer sind.

wolfgang.boehm@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.09.2019)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:

Mehr erfahren

EC President Juncker shakes hands with British PM Johnson in Luxembourg
Europa

Brexit mit Eierschwammerln für zwei

Premierminister Johnson reiste nach Luxemburg zu einem Arbeitsessen mit Kommissionschef Juncker. Konkrete Vorschläge zum Austrittsabkommen hatte er nicht im Gepäck.
British Prime Minister Boris Johnson and European Commission President Jean-Claude Juncker talk as they leave after their meeting in Luxembourg
Europa

Brexit-Treffen: Keine neuen Vorschläge aus London

Ohne greifbares Ergebnis ging ein Treffen zwischen dem britischen Premier Boris Johnson und dem EU-Kommissionpräsidenten Jean-Claude Juncker zu Ende.
Parteikollege David Cameron bezeichnet Boris Johnson als „Lügner“, dem es in der Brexit-Frage nur um seine Karriere gehe.
Europa

Opfert Johnson Nordirland?

Premier Johnson trifft Juncker und will im letzten Moment eine Einigung über ein Austrittsabkommen erreichen – eventuell sogar zum Preis einer Abkoppelung von Belfast.
Außenpolitik

Brexit: Scheidender Parlamentspräsident Bercow vergleicht Johnson mit Bankräuber

John Bercow warnt den britischen Premierminister, Gesetz und Parlament zu missachten, um einen EU-Austritt am 31. Oktober zu erzwingen.
Nach einem Hard Brexit wird mit Unruhen gerechnet, die eine „erhebliche Menge“ an Polizeikräften binden könnten.
Europa

Großbritannien: So gefährlich ist der Hard-Brexit

Versorgungsengpässe, Chaos an der Grenze, Unruhen: Die britische Regierung musste geheime Planungsdokumente veröffentlichen und spielt deren Dramatik nun herunter.

Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.