Großbritannien: „Er wollte das Parlament zum Schweigen bringen“

Wurde die Queen belogen?
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Das Höchstgericht begann seine Beratungen über die Zwangsbeurlaubung des Unterhauses. Hält es Johnsons Entscheidung für rechtswidrig, könnte es die Regierung auf eine Verfassungskrise ankommen lassen.

London. Umrahmt von lautstarken und farbenfrohen Protesten – mit Kundgebungsteilnehmern in „Hulk“-Kostümen – hat das britische Höchstgericht die wohl politisch brisantesten Beratungen seiner Geschichte aufgenommen. „Der Premierminister wollte das Parlament zum Schweigen bringen“, kritisierte Lord Pannick gestern, Dienstag, die Entscheidung von Regierungschef Boris Johnson, das Parlament in den Zwangsurlaub zu schicken. Der Premierminister sehe „das Parlament als Hindernis in einer heiklen politischen Periode, seine Ziele umzusetzen“, argumentierte der Rechtsanwalt im Namen einer Klägergruppe, deren Ziel es ist, die Suspendierung aufzuheben.

Die Regierung Johnson hatte am Montag ungeachtet heftiger Proteste beide Kammern des Parlaments bis 14. Oktober beurlaubt und die parlamentarische Mitsprache in der möglichen Endphase der Brexit-Verhandlungen massiv eingeschränkt. Johnson will bis 31. Oktober „unter allen Umständen“ den EU-Austritt durchziehen. Für eine Beratung und Abstimmung im Parlament über einen von ihm in Aussicht gestellten Deal blieben damit nur einige Tage.

Wurde die Queen belogen?

Der Fall ist in zweifacher Hinsicht heikel: Entscheidet das 2009 geschaffene Höchstgericht gegen die Regierung, verlangen die Abgeordneten die umgehende Wiedereinberufung des Parlaments. Johnson schickte vor Beginn der vorerst für drei Tage anberaumten Gerichtsverhandlung widersprüchliche Signale. Man werde „zusehen und abwarten“, erklärte er. Justizminister Robert Buckland sagte hingegen: „Wir werden der Entscheidung Rechnung tragen.“ Doch dann könnte es zu einem noch größeren Knalleffekt kommen: „Dann verhängen wir einfach die nächste Suspendierung“, wurde Johnsons engster Berater, Dominic Cummings, zitiert. „Die wahre Verfassungskrise kommt erst“, soll er vor Mitarbeitern gesagt haben.

Das wäre wohl auch in zweiter Hinsicht der Fall. Denn wenn die Richter gegen Johnson entschieden, würden sie ihn impliziert beschuldigen, die Queen mit dem Ansuchen auf Beurlaubung des Parlaments belogen zu haben. „Dann kann er sich nicht länger im Amt halten“, meint der frühere Generalanwalt Dominic Grieve.

Mit einem Rücktritt des Premierministers wird allerdings nicht gerechnet. Für einiges Aufsehen sorgte am Dienstag dennoch, dass Johnson und die Regierung vor dem Gericht auf die Möglichkeit einer Zeugenaussage unter Eid verzichtet haben, bei der sie unter Wahrheitspflicht gestanden wären.

Die Zwangsbeurlaubung des Parlaments wurde bereits von zwei Gerichten niedriger Instanz behandelt. Ein englisches Gericht wies eine Klage ab, da es sich nicht um eine juristische, sondern eine „eminent politische Materie“ handle. Ein schottisches Gericht erklärte hingegen die Suspendierung als „Versuch, das Parlament zu knebeln“, für unrechtmäßig. „Ein Urteil war falsch“, sagt der pensionierte Höchstrichter Jonathan Sumption. Die elf Richter des Höchstgerichts müssen diesen gordischen Knoten nun lösen. Ihr Urteil wird nicht vor Freitag erwartet.

Keine Entscheidung, das stellte die Vorsitzende Richterin Lady Hale gleich zu Beginn der Verhandlung klar, werde das Gericht über die nächsten Schritte im Brexit-Prozess treffen. „Wir werden ernste und schwierige Rechtsfragen ansprechen, aber keine politischen Entscheidungen mitbestimmen.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.09.2019)

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