Insolvenzrechtsreform: Chapter 11 auf Österreichisch

ARCHIV - Ein Mann geht am  9. Juni 2009 in Berlin an einem Geschaeft mit Werbeschildern mit der Aufsc
ARCHIV - Ein Mann geht am 9. Juni 2009 in Berlin an einem Geschaeft mit Werbeschildern mit der Aufsc(c) AP (Gero Breloer)
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Die Insolvenzrechtsreform soll die Chancen erhöhen, in Schieflage geratene Unternehmen zu retten. Sie tritt mit 1. Juli 2010 definitiv in Kraft und hat das US-amerikanische Chapter 11-Verfahren zum Vorbild

Sie wurde lange angekündigt, viel diskutiert, verschoben. Und kommt so manchem immer noch zu früh: die Reform des Insolvenzrechtes. Mit 1. Juli tritt sie nun endlich in Kraft, und dass sie nötig ist, bestreitet kaum jemand. Kritiker meinen jedoch, dass es, um einzelne immer noch unausgegorene Regelungen „sauber auszudiskutieren“, auf ein paar Monate mehr nun auch nicht mehr angekommen wäre.

Vorbild aus Amerika

Erreicht werden soll vor allem eine Erleichterung der Sanierung insolventer Unternehmen. Nach dem Vorbild des US-amerikanischen „Chapter  11“-Verfahrens soll dem Management des ins Trudeln geratenen Unternehmens ein gewisser Handlungsspielraum bleiben: Wird rechtzeitig ein Sanierungsplan vorgelegt, der den Gläubigern eine mindestens 30-prozentige Quote in Aussicht stellt und stimmt die Gläubigermehrheit zu, kann das Unternehmen unter der Aufsicht eines Sanierungsverwalters in Eigenregie weitergeführt werden.


Faktisch ersetzt dieses Verfahren den bisherigen Ausgleich, der allerdings eine 40-prozentige Mindestquote vorsieht und deshalb nur selten zum Tragen gekommen ist. So gab es im Jahr 2009 nur 39 gerichtliche Ausgleiche. Sanierungen erfolgten bisher meist über einen Zwangsausgleich im Rahmen eines Konkursverfahrens. Dabei muss innerhalb von zwei Jahren eine mindestens zwanzigprozentige Quote gezahlt werden. Diese Möglichkeit wird es – als „Sanierungsverfahren ohne Eigenverwaltung“ – weiterhin geben.

Früher Insolvenz anmelden


Restrukturierungsexperte Thomas Trettnak, Partner bei CHSH, erhofft sich von der Reform vor allem einen psychologischen Vorteil: „Vielleicht ringen sich Unternehmer künftig eher dazu durch, rechtzeitig Insolvenz anzumelden.“ Was die Chance der Gläubiger auf eine höhere Quote verbesserte, denn gerade in den letzten Wochen vor Konkursanmeldung würde sich meist die Aussicht auf Sanierung verschlechtern.
Im Augenblick könnte die Reform allerdings dazu führen, dass die eine oder andere Insolvenzanmeldung aufgeschoben wird. Den Antrag muss man nämlich längstens innerhalb von 60 Tagen ab Feststellung der Konkursreife stellen, „und bis zum 1. Juli sind wir schon in der Sechzigtagefrist“, so Trettnak. Wer sich von der neuen Rechtslage Vorteile erhofft, könnte also den Antrag bis zum Inkrafttreten der Reform hinauszögern.


Abzuwarten bleibt, ob sich die neue Sanierungsmöglichkeit in der Praxis als realistisch erweist. Trettnak sieht die 30-Prozent-Mindestquote als „sportliches“, aber bei rechtzeitiger Insolvenzanmeldung nicht unerreichbares Ziel. Trotzdem erwartet er, „dass es künftig viele Konkurse geben wird“. Dass die Hürde für die Gläubigerzustimmung zu einer Sanierung in Zukunft niedriger sein wird – bisher war eine Dreiviertelmehrheit erforderlich –, bewertet er positiv: „Das ist internationaler Standard.“

Gläubigern fehlt Druckmittel

Die Freude darüber ist allerdings nicht ungeteilt. Kritiker befürchten, dass den Gläubigern damit ein mitunter nötiges Druckmittel aus der Hand genommen wird. „Lässt sich die einfache Mehrheit von der Angemessenheit der angebotenen, tatsächlich aber viel zu niedrigen Quote überzeugen, so sind auch alle anderen Gläubiger daran gebunden und erhalten weniger, als es der Leiss-tungsfähigkeit des Schuldnerunterssnehmens entspricht“, meint Susanne sFruhstorfer, Insolvenzrechtsexpertin bei enwc Rechtsanwälte. Wie sie es überhaupt „bedauerlich“ findet, dass es weiterhin Mindestquoten gibt. Denn das führe dazu, dass zunächst einmal eben nur das Minimum angeboten werde, auch wenn der Schuldner mehr zahlen könnte. „Es herrscht eine Art von Basarmentalität, man will noch Spielraum zum Verhandeln haben.“ Erst nach Überprüfung durch den Insolvenzverwalter und entsprechender Einwirkung der Gläubigerschutzverbände werde das Angebot erhöht.


„Viel effektiver wäre es, dem insolventen Unternehmen im Gesetz vorzuschreiben, eine angemessene Quote anzubieten“, meint Fruhstorfer. Wobei diese eventuell auch unter 20 Prozent liegen könnte, wenn die Überlebensfähigkeit des Unternehmens gesichert ist. „In der Praxis kommen solche Quotenunterschreitungen immer wieder vor, wenn einzelne Gläubiger zu Rückstehungserklärungen bewegt werden können.“ Auch der höchstens zweijährige Erfüllungszeitraum sei ein Nachteil: „Was spricht beispielsweise gegen eine Quote von 60 Prozent innerhalb von fünf Jahren?“ Einem solchen Sanierungsplan zuzustimmen sei jedoch auch nach der neuen Rechtslage nicht möglich.

Kritisiert werden auch andere starre Fristen. So muss ein Sanierungsplan mit Eigenverwaltung binnen 90 Tagen von den Gläubigern angenommen werden. Und der Insolvenzverwalter hat für die Entscheidung über die Fortsetzung von Vertragsverhältnissen gar nur fünf Arbeitstage Zeit.

(Die Presse, Printausgabe, 27. 05. 2010)

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