Lokalkritik

Testessen im „Das kleine Paradies"

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Staunen, essen, staunen, trinken, staunen. In der Blindengasse 3 in Wien Josefstadt hat sich etwas getan. Frühstück gibt’s nicht, Mittagstisch und die Gattung „Nachmittag" aber sehr wohl.

Es gibt Geschäftslokale, die jahrelang Hoffnung schüren. An denen man beim Vorbeigehen ausnahmslos jedes Mal denkt, hoffentlich wird daraus bald etwas anderes. Etwas G’scheites, das der Schönheit der Architektur gerecht wird und den Ort für mehr Menschen nutzbar macht als nur für solche, die gerade ein vergilbtes Kopiergerät oder ein Paar Stützstrümpfe kaufen wollen. Der Adresse Blindengasse 3 in Wien Josefstadt ist das nun passiert: Aus den großen, mehr als prachtvollen Räumlichkeiten im Erdgeschoß wurde endlich ein Lokal. Genannt „Das kleine Paradies".

Die obskure Kieselsteinaufschüttung in der Auslage ist nicht mehr, dafür sind ebendort Sitzgelegenheiten, Luster und Teppiche eingezogen und bilden hier die wohl kleinsten Wohnzimmer Wiens. Der Rest: Eine mosaiksteinfunkelnde Bar, ein gerade noch nicht oder gerade nicht mehr Palmers-grüner Boden, Holzverbrämung und andere bestaunbare Details noch und nöcher. Die Stockwerke darüber, lange leer stehend, werden vom Verein Tralalobe für die Unterbringung von Menschen mit Fluchterfahrung genützt, „mit Wohnungstüren, die man zumachen kann".

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Im Lokal sollen Arbeitsplätze für Bewohner geschaffen werden. (Vielleicht freuen sich diese dann mehr über das Interesse am Lokal als der Serviceleiter, nichts für ungut.) Wirtinnen des Paradieses sind Eschi Fiege, die in ihrer Altbauwohnung am Naschmarkt jahrelang ein rot-weiß kariertes Fähnchen aus dem Fenster gehängt hat, wenn es ihren Mittagstisch gab, und Michaela Klein vom Weinhandel Unger & Klein, Präsidentin von Tralalobe. Nicht sattsehen kann man sich an der grafisch völlig neuartig gestalteten Speisekarte, in der Affen Martini­gläser und pfauenbefederte Tänzerinnen Wassermelonen balancieren und Wein­flaschen freundliche Preise tragen dürfen (etwa die Cuvée „Naked White" von Gernot und Heike Heinrich für 24 Euro pro Flasche).

Die Speisekarte von Tomaž Fink ändert sich mit der Tageszeit: Frühstück gibt’s nicht, Mittagstisch und die Gattung „Nachmittag" aber sehr wohl, etwa mit Nuri-Sardinen samt Brot (5,80 Euro). Wenn dann abends aufgekocht wird, stehen gut gemachte Kleingerichte wie konfierter Wels mit Fenchel und Chilimayonnaise oder bissfeste, dünnwandige Ravioli mit Erdäpfel-Schnittlauch-Füllung (10,50) auf dem Programm, aber auch Hauptgerichte zum Teilen wie Lammbratwürstel, „überfahrenes Huhn“ mit Trauben und Ofen­sellerie mit Mandelsauce. So üppig dimensioniert, dass es ein cave portionem bräuchte, ist das alles aber auch wieder nicht.

Info

Das kleine Paradies, Blindengasse 3, 1080 Wien, Tel.: +43/(0)664 388 23 87, Di–Sa: 11–23 Uhr.

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("Die Presse-Schaufenster", 19.07.2019)

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