Pferdestärke. Leistungsschau und Jahrmarktkulisse werden bei der Feria eins.

Andalusien: Das muss wohl ein Jerez sein

Offiziell feiert die Feria del Caballo die andalusische Reitkunst. Das Spektakel in Jerez ist aber auch ein authentisches Fest des Sherrys.

Ähnlich viele Bolerojäckchen gab es zuletzt beim Maturaball 1987 zu sehen. Doch hier sind sie quasi die Eintrittskarte. Zu Dutzenden reiten die Teilnehmer an der Feria del Caballo mit den Kurzsakkos, Rüschenhemden, vorn geschlossenen Steigbügeln und hinten hochgezogenen „spanischen" Sätteln ein. Die wilde akustische Mischung des Spektakels von Jerez de la Frontera bilden Hufschlag, Jahrmarktsmusik und Gläserklingen. Applaus übertönt diese Geräusche immer dann, wenn sich die Bereiter der Real Escuela Andaluza del Arte Ecuestre zum Formationsritt aufstellen.

Die andalusische Hofreitschule ist zwar aus österreichischer Sicht lächerlich jungen Datums (1973 gründete sie Álvaro Domecq Romero), doch ihre Dressurshow mit Zaumzeug und Kostümen des 18. Jahrhunderts fußt auf vielen Vorgängern und zählt zum spanischen Kulturgut. Noch weiter in die Geschichte der Reitkunst führt dann der Besuch der Yegua da Cartuja zurück. Die namensgebende Kartause befindet sich unweit dieses Gestüts, das auf pferdezüchtende Mönche zurückgeht. Die Kartäuser-Pferde gelten als die ältesten reinrassigen Andalusier. Jeden Samstag kann man die nach Altersgruppen getrennten Tiere in Aktion erleben – an den Dressurmethoden hat sich seit dem 15. Jahrhundert wenig verändert.

Bolero und Bodegas. Doch die Kartäuser-Fohlen kann man jede Woche galoppieren sehen. Feria hingegen ist nur einmal im Jahr. Für die wenigen Touristen hat es dann den Anschein, als wären alle Jerezanos im Parque González Hontoria, dem Festgelände mit dem gleißenden Lichterschmuck. Schulkinder und Großmütter tragen die traditionellen Kleider mit den Reifröcken (trajes de gitanas), die Männer holen zumindest die Krawatten aus dem Schrank. Seit 1903 ist der Hontoria-Park das offizielle Festgelände, auf dem die „casetas" der Sherryhäuser errichtet werden. Das Fest selbst geht auf die Viehmärkte des 13. Jahrhunderts zurück und bietet eine Maiwoche lang Spanien-Klischees auf einem staubigen Präsentierteller von 52.000 Quadratmetern: Andalusische Hengste, kiloweise Ibérico-Schinken und Sherry, bis der Morgen graut.

Dresscode. Die Fiesta ist die Gelegenheit,
Dresscode. Die Fiesta ist die Gelegenheit, (c) Marcelo del Pozo/Getty Images

Schenkt eine Bodega diesen noch traditionell aus dem Fass aus, ist Fotostunde angesagt: Dann muss Jesús Delgado mit dem gertenschlanken und nachfedernden Weinheber, der „venencia", posieren. Im obligaten Bolerojäckchen lässt er den Sherry aus einem Meter Höhe ins Glas gleiten und buchstabiert geduldig seine Profession (Venenciador). In insgesamt 185 kleinen Buden wird gegen den Durst Südspaniens angekämpft. Trotz der Eleganz des Fests ist der Vergleich mit dem Münchner Oktoberfest naheliegend – auch in Jerez spricht man von der Feria wie von der Wiesn fast als eigener Jahreszeit.

Fino Sherry mit Sprite. Doch der Vergleich hinkt auch. Die Preise der Getränke sind moderat, der Eintritt ist überhaupt frei, und rucksackdurchwühlende Security gibt es beim Familienfest allenfalls im Hintergrund. Denn es ist auch ein Fest des Volks. Unter den Betreibern der Stände finden sich religiöse Vereine („Bruderschaft von Jesus Christus, unserem Retter") ebenso wie lokale Gemeinschaften („Nachbarschaftsbund von Pozo de la Víbora") oder gastronomische Herrenklubs („Die Freunde der Eingeweide"). Die prächtigsten „casetas" jedoch betreibt jene Branche, die der Stadt Jerez ihren Namen verdankt. Sherry-Häuser wie Williams & Humbert servieren zum Fino mit Sprite („rebujito" heißt diese erstaunlich erfrischende Mischung) Schinkenkroketten in einem hölzernen Palast, der eigenwilligerweise „Amigos del Canasta" heißt.

Der Weg zu noch mehr Alkohol führt über den Alcázar, den immer noch eindrucksvollen ehemaligen Sitz der Emire des elften Jahrhunderts in der Altstadt von Jerez. Bei den Arabern hieß der Bau schlicht „die Festung" (al-qasr), heute ist er Startpunkt einer violett blühenden Allee aus Trompetenbäumen, die dann zu einem anderen Bollwerk führt: Mit 200.000 Gästen jährlich gelten die Bodegas Tío Pepe als das bestbesuchte Weingut Europas. Allein 80 Hochzeiten finden hier jährlich statt – und da sind die „Vermählungen" der Weine in den labyrinthischen Solera-Kellern nicht eingerechnet. Die historische Bodega des Familienunternehmens González Byass geht auf das Jahr 1835 zurück. Damals erwarb Manuel María González Ángel mit einer Anschubfinanzierung von José Ángel de la Peña, seinem „Pepi-Onkel" (spanisch: Tío Pepe), ein kleines Weingut. Der 140 Jahre alte Weinstock, an dem vorbei es zum Kostraum geht, weist fast noch in diese Gründerzeit zurück.

Von Marketing verstand die Bodega mit dem roten Hut schon immer etwas! Für die Konstruktion des Fest-Ovals, in dem heute – Überraschung! – andalusische Pferde ihre Kunststücke zeigen, engagierte man seinerzeit Gustave Eiffel. Die größte Wetterfahne des Landes ist zwar auch aus Metall, stammt aber nicht von ihm. Dafür haben sich andere Promis quer durch die Jahrhunderte verewigt. Die Fässer im Ehrenkeller von González Byass weisen die Signaturen von Orson Welles, Steven Spielberg, sämtlicher spanischer Royals und einiger Nobelpreisträger, aber auch des Diktators Miguel Primo de Rivera auf. Über den Inhalt der Sherryfässer spricht Antonio Flores lieber: „Der Jahrgang macht die Weine einzigartig, die Solera sorgt für Kontinuität." Die verbundenen Fassreihen, in der entnommener Wein mit dem aktuellen Jahrgang aufgefüllt wird, sind ein kunstvoller Trick, die Unterschiede der Jahrgänge nicht deutlich werden zu lassen.

Gustostücke. Kiloweise Ibérico-Schinken wird verspeist, bis der Morgen graut.
Gustostücke. Kiloweise Ibérico-Schinken wird verspeist, bis der Morgen graut.(c) Beigestellt

Der 63-jährige Sherrymacher Flores ist eine Legende seiner Zunft; er wurde selbst auf dem Gelände der Bodega geboren. Aktuell arbeitet sich Tochter Silvia an seiner Seite ein, sie soll ihm idealerweise irgendwann nachfolgen. Doch noch wirkt Antonio Flores alles andere als amtsmüde; scherzend zerstört er die Weinmär, dass älter automatisch gleich besser bedeutet: „Wie viele alte Leute kennen Sie, die schon als Junger ein Depp waren? Eben!"

Wind für das Weiße. Den Rohstoff für seine Solera-Fässer liefern ihm 348 Hektar im sogenannten Sherrydreieck zwischen Jerez, Sanlúcar de Barrameda und Puerto Santa Maria. Der Großteil der Palomino-Fino- und Pedro-Ximenez-Trauben findet sich wenige Kilometer vor der Stadt. Während alle bei der Feria feiern, ist man in einer Viertelstunde bei den gleißend weißen „Albariza"-Böden. Rund 30 Prozent Kalkanteil sorgen für die weiße Farbe des Weingartenbodens, aber auch eine Reflexion des Sonnenlichts, die den Aufenthalt im Sommer hier schwer erträglich macht.

„Zudem wirkt diese Erde auch wie ein Schwamm", erklärt Weingartenmanager Manuel Delgado. Vorausgesetzt, es gibt auch Wasser. „Glücklich macht uns daher der Poniente. Das ist der Wind, der vom Meer herkommt." Im Idealfall macht er übers Jahr 20  Prozent der Winde aus, der trockene Levante aus dem Landesinneren wiederum sorgt für Reife und verhindert Fäulnis. Denn die Trauben hängen hier üppig aneinander: 11.500 Kilo Trauben pro Hektar dürfen von der Hauptsorte Palomino Fino (95 Prozent der Rebfläche bei González Byass) geerntet werden.

Auch wer abstinent lebt, wird – ungeachtet der „casetas" in der Feria-Woche – dem Sherry nicht entgehen. Er ist ein fest verankerter Bestandteil der Küche von Jerez. Dass das so bleibt, liegt an Männern wie Javier Muñoz. In einem ehemaligen Weinlager bietet sein Restaurant La Carboná nicht nur eine eigene Karte der unfiltrierten Sherryvarianten („en rama") an. Von 27 Gerichten auf Muñoz’ Speisekarte werden 14 mit Sherry zubereitet. Zur traditionellen Mandelknoblauchsuppe Ajoblanco mit Algen und Sardinen kommt unter dem alten Holzdach etwa Amontillado zum Einsatz. Die Frischkäseeiscreme als Dessert wiederum wird direkt vorm Gast mit dem süßen Pedro Ximenez vollendet. Ähnlich großzügig kommt der aufgespritete Wein in die Kochtöpfe des A Mar in der Altstadt. Chef Julián Olivares lässt dann etwa Schweinswangerl in Oloroso-Sauce auffahren. Hier bringt man auch Venenciador Jesús in einer Pause sein Gläschen Fino, ohne dass er es selbst einschenken muss. Denn in einer Stunde wird er wieder für die Generation Instagram am Fass stehen. Aber der Mann im roten Bolerojäckchen freut sich schon darauf: „Hey, es ist Feria!"

In Jerez

Flamencobar. El Pasaje: 1924 gegründet, Liveshows, feine Tapas (z. B. Artischocke in PX-­Sherry). tabancoelpasaje.com

Feria-Quartier. Jerez & Spa: Zum Frühstück Schinken säbeln, dann am Pool relaxen. Zur Feria gibt’s die Modeschau schon an der Rezeption – das Reiterfest findet 300 Meter entfernt statt. hace.es

Lokalküche. Menüs von „A Mar"-Chef Julián Olivares gehören zum Besten in der Altstadt. Tipp: Schweinswangerl in Oloroso-Sauce. a-marrestaurante.com

Promifässer. Herrschaftliche Reiferäume von Gonzales Byass, Tío Pepe. Prominentenfässer, ­140  Jahre alter Rebstock, Sherry-proben. bodegastiopepe.com

Reitkunst. Dressurshow mit Kartäuser-Pferden jeden Samstag, 11 Uhr, in Yeguada de La Cartuja.

Sherrymenü. La Carboná von Topkoch Javier Muñoz: Kleines Menü 45 Euro, großes mit lokalen Weinen 95. https://lacarbona.com

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