Gastkommentar

Ideen einer mediengeilen Kasperl-Combo

(c) Peter Kufner
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Der Gründer des Zentrums für Politische Schönheit will vom Staat subventioniert werden. Ist das noch Chuzpe oder schon Wahn?

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Sie selbst sehen sich als „Denkfabrik“, wobei einem die ungleich martialischere Entsprechung im Englischen passender erscheint: „think tank“. Panzergleich rollt das Aktionskünstlerkollektiv Zentrum für Politische Schönheit (ZPS) unter dem Kommando des stets tarnfarbengeschminkten Philipp Ruch nun schon seit zehn Jahren durch die Medienöffentlichkeit und erfreut sich großer Beliebtheit. Der Kunstguerilla geht es nach eigenem Bekunden darum, „die höchste Form aller Künste ins Werk zu setzen: gute und schöne Politik“.

Als gelehrige Schüler Christoph Schlingensiefs, der einst deutsche Arbeitslose nach St. Gilgen an den Urlaubsort Helmut Kohls zum „Baden im Wolfgangsee“ einlud, verstehen sie sich auf das Handwerk der Provokation und handhaben ihre wertvollste Waffe, die „Medienwaffe“ (Philipp Ruch), mit Bravour. Bauen vor dem Berliner Reichstag hoch symbolisch Skulpturen auf, die sie „Lethe-Bomben“ nennen, um Kriegseinsätze zu kritisieren, oder rufen dazu auf, das Rüstungsunternehmen Heckler & Koch in einem Sarkophag einzubetonieren.

Klagen säumen ihren Weg

Juristische Klagen säumen ihren Weg. 2017 ereilte sie der Ritterschlag: Björn Höcke von der AfD brandmarkte sie als „terroristische Vereinigung“. Besser hätte es für die mediengeile Kasperl-Combo gar nicht laufen können. Mächtig stolz gab Philipp Ruch seinerzeit zu Protokoll: „Wir werden damit werben.“ Womit klar war: Es ging bei dem ganzen Mahnmal-Nachbau-Unsinn (die ZPS-Aktivisten hatten das Berliner Holocaust-Mahnmal in Sichtweite von Höckes Haus in Thüringen en miniature nachgebaut) nie darum, den Rechtsextremen Höcke als solchen zu entlarven. Das wäre auch wahrlich keine Kunst. Nein, es ging nur darum, die Gesetzmäßigkeiten der Ökonomie der Aufmerksamkeit einmal mehr für sich zu nutzen. Mit erbärmlich billiger Provokation, darin durchaus wesensverwandt dem Geschichtsrevisionisten mit seiner Dresdner Rede über das „Denkmal der Schande“.

Motto: Komm schon, spring doch über das Stöckchen, das ich dir hinhalte. Kurzzeitig aufwallende Erregung, Erkenntnis: keine. Oder doch, diese: Selten ist eine große politische Geste wie der Kniefall Willy Brandts in Warschau 1970 so verlacht und verhöhnt worden wie in der sogenannten „Kunstaktion“ von Bornhagen. Denn einen Kniefall vor einer Mahnmal-Attrappe nachzuspielen, wie hier geschehen, das klingt nach einem Neonazi-Abend. Damit bewegte man sich auf ebenjenem degoutanten dunkeldeutschen Niveau, das man zu kritisieren vorgab. Obendrein sorgte das ZPS mit einer Quasi-Stasi-Ausspitzelung des AfD-Politikers für den herunterzuladenden „Audio-Walk“ „Das Höcke-Refugium“ dafür, dass sich Björn Höcke als Opfer unrechtmäßiger Überwachung stilisieren konnte. Kontraproduktiver kann Kunst kaum sein. „Die Schönheit wird die Welt erretten“, sagt die titelgebende Figur in einem der Klassiker Fjodor Michailowitsch Dostojewskis. Dieser Roman heißt „Der Idiot“. So ist das Zentrum für Politische Schönheit zum Hauptangriffsziel der AfD in deren Kulturkampf von rechts geworden. In diesem Zusammenhang fällt aufseiten der Rechtspopulisten immer wieder das Schlagwort „Gesinnungstheater“.

Weltanschauungstheater

Es ist schon ein wenig her, da schrieb der Theaterkritiker Alfred Kerr, er halte von dieser „ständigen, grundsätzlichen Nur-Gesinnungsdramatik“ rein gar nichts. Das war 1930, die Zeiten waren mehr als aufgewühlt, die Gesellschaft tief gespalten, was sich auch auf der Bühne zeigte, wo Regisseure wie Erwin Piscator und Dramatiker wie Ernst Toller versuchten, das Publikum mittels Stücken zu agitieren. Die Wörter „Gesinnungstheater“ sowie „Propaganda-“ oder „Weltanschauungstheater“ waren damals sehr im Schwange, wie zahlreiche Zeitungsartikel aus den 1920er-Jahren belegen. „Das Gesinnungstheater“, so schrieb der kluge Alfred Kerr, der kurze Zeit später vor den Nazis fliehen musste, sei ein „Irrtum“. Am 11. Februar 1930 befand er deshalb: „Darum hat ein bloßes Gesinnungstheater keinen Bestand. Eben weil es zur Eintönigkeit führt. Es schadet der Idee, die es verkünden will.“

Schon 1919 findet sich in dem vom Juden Jakob Lippowitz gegründeten „Neuen Wiener Journal“ eine Invektive gegen das „Gesinnungstheater“. Man muss an solche Zeilen erinnern in unseren politisch unruhigen Zeiten, die von Menschen wie Philipp Ruch kurzerhand mit denen der frühen 30er-Jahre gleichgesetzt werden. Der 38-jährige Philosoph hat vor Kurzem ein Buch veröffentlicht: „Schluss mit der Geduld“, heißt es. „Wir stehen in einer Zeit der Schlacht“, schreibt er darin. Er glaubt, „dass Weimar brennend aktuell ist“. Schönheit kommt bei Philipp Ruch offenbar vor Besonnenheit. Aber nicht diese eher hysterisch denn historisch zulässig zu nennende Analogie ist dem Inszenator politischer Performances vorzuwerfen, sondern die Konsequenz, die er daraus zieht.

Philipp Ruch meint nämlich, dass in Zeiten, in denen die AfD erstarkt und sich seiner Beobachtung nach „ein Extremismus der Mitte“ breitmacht, Künstler subventioniert gehören, die dagegen aufbegehren. Dem „Spiegel“ gab er zu Protokoll: „Wir arbeiten mit den ambitioniertesten Theatern des Landes zusammen, mit dem Maxim Gorki Theater oder den Münchner Kammerspielen. Aber die Angst vor rechts ist groß in Deutschland. Es wäre deshalb wichtig, dass die Bundesregierung endlich anerkennt, dass wir einen staatlichen Auftrag erfüllen. Der Staat sollte unsere Rechnungen begleichen.“ Ist das noch Chuzpe oder schon Wahn? In jedem Fall ein völliges Rollenmissverständnis.

Aus einer tugendritterhaften Gesinnungsästhetik (Originalton Ruch: „Jede Tugend braucht ihren Homer, der sie besingt.“) lässt sich kein Anspruch auf staatliche Alimentierung ableiten. Schon gar nicht, wenn sie sich wie bei Ruch gegen „gesinnungskranke Ideen“ wendet – und sich damit in der Wortwahl den bekämpften „braunen Gesinnungsrittern“, die vom „fanatischen Gesinnungsterror“ fantasieren, fatal annähert. So eine Forderung ist nur Wasser auf die Mühlen der AfD, die bekanntlich schon wiederholt kleine parlamentarische Anfragen zu ihrer Meinung nach „gezielten ideologiebasierten Bundeszuwendungen“ für das von ihr so genannte „Gesinnungs- und Propagandatheater“ gestellt hat.

Schon 2017 fragten AfD-Bundestagsabgeordnete (darunter deren kulturpolitischer Sprecher, Marc Jongen), ob die deutsche Bundesregierung Erkenntnisse darüber habe, „ob Aktivisten des ZPS mit öffentlichen Geldern, zum Beispiel aus dem Hauptstadtkulturfonds, gefördert werden oder wurden“. Das von der AfD angegriffene „politisch korrekte kulturelle Justemilieu“ in Gestalt des Zentrums für politische Schönheit und der Institutionen, die es engagieren und so auch mittelbar finanzieren, irrt fundamental, wenn es denkt, schon eine Haltung sei förderungspflichtig.

Wer dieser Auffassung ist, gibt der AfD nur indirekt recht – und macht sich ohne Not zur Marionette der Rechtspopulisten.

Der Autor

Knut Cordsen (*1972) hat seine Ausbildung an der Deutschen Journalistenschule in München absolviert und ist seit 1999 Literaturkritiker und Moderator in der Kulturredaktion des Bayerischen Rundfunks.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.09.2019)

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