Krankenpflege: Zwischen Dienstbotenmentalität und „guter Familie“

(c) APA/zb/Sebastian Kahnert
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Ein Sozialforschungsprojekt unterzieht die 24-Stunden-Betreuung kranker Menschen einer kritischen Bestandsaufnahme.

Seit Langem ist offenkundig, dass in den alternden Gesellschaften Mitteleuropas eine Lücke im System klafft, wenn es darum geht, Menschen mit Demenz oder schweren Erkrankungen in ihrem häuslichen Umfeld zu betreuen.

Um diese Lücke zu schließen, wurde in Österreich vor elf Jahren das Modell der 24-Stunden-Betreuung legalisiert: Agenturen vermitteln an österreichische Privathaushalte Betreuerinnen aus Osteuropa. Diese werden dort einquartiert und stehen über Wochen zur Verfügung, um einfache Pflegetätigkeiten zu verrichten, den Betreuten Gesellschaft zu leisten oder im Haushalt zur Hand zu gehen. Da es sich um keine ausgebildeten Pflegekräfte handeln muss und man derzeit noch vom weitaus niedrigeren Lohnniveau in den Herkunftsländern – meist Rumänien und Slowakei – profitiert, ist diese Art der Dienstleistung für viele hierzulande einigermaßen erschwinglich. Durchschnittlich 2500 Euro beträgt heute der monatliche Preis für eine agenturvermittelte Betreuerin, den die Betreuten teilweise durch Pflegegeld oder andere Zuschüsse abdecken. Er werde allerdings durch Preisdumping deutlich unterschritten und durch hochpreisige Angebote für spezielle Bedarfe deutlich überschritten, sagt die Soziologin Brigitte Aulenbacher, die an der Universität Linz ein Forschungsprojekt zu vermittelter Personenbetreuung leitet. „Circa 99 Prozent der Personenbetreuerinnen und -betreuer sind Selbstständige, womit sie die unternehmerischen Risken tragen, die Sozialversicherungskosten niedrig gehalten werden und das Arrangement für Privathaushalte der Mittelschichten bei gegebener staatlicher Unterstützung leistbar ist.“

Widersprüchliche Ansprüche

Die Universitätsprofessorin untersucht zusammen mit einem Sozialwirt und einer Soziologin im Projekt „Gute Sorgearbeit? Transnationale Home Care Arrangements“ das Funktionieren von 24-Stunden-Betreuung, unter anderem durch ausführliche Interviews mit Betroffenen – nicht nur in Österreich, sondern auch (zusammen mit deutschen und Schweizer Forscherinnen) im länderübergreifenden Vergleich. Schließlich unterscheide sich das österreichische Modell, das auf selbstständig tätigen Betreuungskräften beruht, grundlegend vom deutschen Entsende-Modell – mit einer deutschen Vermittlungsagentur und einem sogenannten Entsendeunternehmen, bei dem die Pflegerinnen angestellt sind – und vom Schweizer Modell des Personalleasings. Das österreichische Modell werde in Deutschland, beispielsweise von Agenturvertretern und Lobbyisten, als nachahmenswert gesehen, wie die deutschen Forschungspartnerinnen herausgefunden hätten, sagt Aulenbacher. In der Schweiz hingegen sei die Selbstorganisation der Betreuerinnen weitaus stärker vorangeschritten als in Deutschland und in Österreich. „Dort sind Gewerkschaften in diesem Feld bereits längst aktiv.“

Aus den Interviews mit Betreuenden und Betreuten ergeben sich Ansprüche, die widersprüchlicher nicht sein könnten: „Agenturen kritisieren, dass Haushalte unangemessene Anforderungen an die Betreuungskräfte stellen, wie 24-stündige Verfügbarkeit, Zusatzarbeit im Garten, bei der Autopflege, in der Versorgung weiterer Familienmitglieder.“ Sie bezeichnen dies als „Dienstbotenmentalität“. Angehörige hingegen würden das aus ihrer Sicht erforderliche Engagement in der Betreuung vermissen und eine stärkere Berücksichtigung der Lebensgewohnheiten wie Essensvorlieben oder Ruhebedürfnisse der Betreuten erwarten. „Die Betreuerinnen selbst sprachen ihre Isolation im Haushalt, den schwierigen Umgang beispielsweise mit Demenzkranken und ihre Belastung an, wenn sie nachts mehrmals aufstehen müssen.“

Den Regelungsbedarf in solchen Angelegenheiten zeigten auch zwei Formulierungen auf, die in den Interviews immer wieder vorkämen: „Wenn die Chemie stimmt“ bzw. wenn es eine „gute Familie“ sei, wären viele Probleme leichter lösbar.

In Zahlen

62.000 24-Stunden-Pflegerinnen sind derzeit in Österreich ungefähr registriert. 95 Prozent davon sind Frauen, 80 Prozent stammen aus Rumänien und der Slowakei.

2500 Euro kostet eine agenturvermittelte Personenbetreuung für Privathaushalte im Schnitt pro Monat. Rund 800 Agenturen mit Sitz in Österreich widmen sich seit 2019 diesem Geschäft. 2007 waren es nur 40 Agenturen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.09.2019)

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