Nachruf

Marko Feingold: Ein starkes Leben nach vier KZ

Von 1939 bis 1945 war Marko Feingold inhaftiert, u. a. in Auschwitz und Buchenwald.
Von 1939 bis 1945 war Marko Feingold inhaftiert, u. a. in Auschwitz und Buchenwald. (c) APA/BARBARA GINDL (BARBARA GINDL)
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Österreichs ältester Holocaust-Überlebender ist tot: Marko Feingold, lange Jahre Präsident der Israelitischen Kultusgemeinde in Salzburg, starb mit 106 Jahren.

Bald wird kein Zeuge des Holocaust mehr unter uns weilen. 110 Jahre alt war die britische Pianistin Alice Herz-Sommer, die 2012 in England als älteste KZ-Überlebende starb. Erst vor wenigen Monaten starb in Ungarn mit 106 Jahren Elemer Spiegler, der zu Lebzeiten älteste ungarische Holocaust-Überlebende – im gleichen Alter wie der älteste in Österreich, Marko Feingold, der nun am Freitag an den Folgen einer Lungenentzündung verstorben ist.

Als einer der „letzten Zeugen“ im gleichnamigen Zeitzeugenprojekt war der bis zuletzt so gewitzte, redefreudige alte Herr vor einigen Jahren auf der Bühne des Burgtheaters zu erleben. Viel präsenter noch als in Wien war Feingold freilich in Salzburg, wo er jahrzehntelang, nämlich schon seit seiner Pension Ende der Siebzigerjahre, Präsident der heute nur noch wenige Dutzend Mitglieder umfassenden Israelitischen Kultusgemeinde war. Nach Salzburg hatte es ihn nach sieben Jahren in vier Konzentrationslagern verschlagen: Auschwitz, Neuengamme, Dachau und Buchenwald.

Den Anzug bekam er zurück

„Wer einmal gestorben ist, dem tut nichts mehr weh“, heißt seine im Otto-Müller-Verlag erschienene Autobiografie. Nicht durch Wunder habe er überlebt, sagte Feingold in einem Interview, sondern zufällig, sonst hätte es „20 Wunder geben müssen“. Sein mit ihm deportierter Bruder überlebte nicht, auch seine anderen beiden Geschwister starben – wie und wo, erfuhr er nie. Doch den Anzug, in dem er 1939 verhaftet worden war, den habe er bei seiner Entlassung 1945 zurückbekommen, erzählte er später.

Feingold wuchs in der Wiener Leopoldstadt als Sohn eines Vermessers für die österreichisch-ungarischen Staatsbahnen auf. Um in der Wirtschaftskrise zum Familieneinkommen beizutragen, wurde er in eine kaufmännische Lehre geschickt; nachdem er 1932 arbeitslos geworden war, arbeitete er jahrelang mit seinem Bruder als Vertreter in Italien, der „Anschluss“ in Österreich kam für ihn überraschend. Er wurde mit seinem Bruder von der Gestapo verhaftet, die eigentlich seinen (in Jugoslawien befindlichen) Vater suchte, nach drei Wochen wurden die beiden freigelassen, 1939 jedoch in Prag endgültig festgenommen.

Nach dem Krieg gründete Feingold mit einem anderen Buchenwald-Überlebenden das Geschäft „Wiener Moden“, das er bis zu seiner Pensionierung 1977 führen sollte. Und er wurde als Leiter der jüdischen Fluchthilfeorganisation Bricha zum Fluchthelfer für in Salzburg gestrandete Juden, die (gegen den Willen der Briten) aus Österreich nach Palästina wollten. Über 100.000 Menschen wurden so in den ersten Nachkriegsjahren über den Brennerpass geschleust.

„Seht her, ich bin noch da“

Den Opfermythos der Nachkriegszeit kritisierte Feingold: „In Österreich sind die Überlebenden der Konzentrationslager nicht empfangen worden, die Kriegsgefangenen hat man aber mit Musik begrüßt.“ Zeit seines Lebens sah er sich als „sehr liberalen“ Juden, den Einfluss von Religion im Staat sah er kritisch. Sein letzter Satz in einem Interview mit der „Kronen Zeitung“ vor einem Jahr – auf die Frage, welchen Satz, hätte er nur einen, er der Welt sagen würde – war: „Seht her, ich bin noch da.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.09.2019)

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