Unhygienisch, ja gefährlich fanden viele das Ausleihen von Büchern. Van Gogh, „Stapel französischer Romane“, 1887.
Zeitreise

Todkrank durch ein verseuchtes Buch?

In der „Großen Bücherangst“ des 19. Jahrhunderts glaubte man, dass geliehene Bücher ansteckende Krankheiten verbreiten. Es kam zum Kampf gegen die Büchereien. Erinnerung an eine Massenpanik.

Noch wenige Tage, und die Wiener Hauptbücherei rollt nach Monaten der Renovierung ihren Teppich neu aus, den gesamten Teppichboden hat sie ausgetauscht. Der gibt einem das Gefühl, sich in einem großen kollektiven Wohnzimmer zu befinden. Aus dem man nun wieder, rechtzeitig zu Beginn der kalten Tage, Bücher aufs eigene warme Sofa tragen kann. Aber halt, was ist mit den Keimen, die fremde Hände darauf hinterlassen haben? Fast vergessen ist, dass die Institution der Leihbücherei Ende des 19. Jahrhunderts eine Massenpanik überleben musste. Man kennt ja die Angst vor dem gefährlichen Buch, das den Geist verseucht – doch es gab auch die Zeit, als man fürchtete, Bücher würden die Körper verseuchen. Krieg wurde gegen die Büchereien geführt: von Ärzten, Journalisten, Buchhändlern und Autoren, in Europa wie in den USA.

Dort sprechen manche von der Ära des „great book scare“. Die amerikanische Literaturwissenschaftlerin Annika Mann erzählt dessen Geschichte im 2018 erschienenen Buch „Reading Contagion: The Hazards of Reading in the Age of Print“. 1878 hatte Louis Pasteur der Welt seine Theorie präsentiert, wonach Krankheiten durch Mikroben entstehen. Nur ein Jahr später berichtete das „Library Journal“, Zeitschrift der US-Bibliotheken, von mehreren Ärzten, die behaupteten, Menschen hätten sich durch ein Buch eine ansteckende Krankheit zugezogen.

Streit um einen Tuberkulosetod. Ab nun flammte die Debatte immer wieder auf, genüsslich befeuert von Journalisten – etwa als 1895 im Bundesstaat Nebraska eine Bücherei-Angestellte an Tuberkulose starb. Die Angst griff auch auf England über, wo man noch 1907 Menschen mit ansteckenden Krankheiten verbot, Bücher auszuleihen.

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