Tschechien: „Weg mit den Dinosauriern!“

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Tschechien bdquoWeg Dinosauriernldquo(c) EPA (FILIP-SINGER)
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Einstiger TV-Moderator wird zum neuen Messias für Politikverdrossene. Über 60 Prozent der Tschechen halten ihn für vertrauenswürdig. Damit ließ er auch Karl Fürst Schwarzenberg hinter sich.

PRAG.Mit einem Schuss aus einer alten Mörserkanone hat die Partei „Öffentliche Angelegenheiten“ (Věci veřejné – VV) in Tschechien die heiße Phase ihres Wahlkampfs eröffnet. Am Freitag und Samstag wird in Tschechien ein neues Parlament gewählt, und VV hat alle Chancen, als völlig neue Partei gleich die Fünf-Prozent-Hürde zu überwinden. Das liegt allein am Parteivorsitzenden, Radek John. Der steht in den Vorwahlumfragen über die Beliebtheit der Spitzenpolitiker an erster Stelle. Über 60 Prozent der Tschechen halten ihn für vertrauenswürdig. Damit ließ er erstmals auch den unbestrittenen Liebling vieler Tschechen, Karl Fürst Schwarzenberg, hinter sich.

Erwähnte Mörserkanone war auf einem Platz auf der barocken Prager Kleinseite aufgestellt worden und zielte in Richtung des Regierungsamtes. Radek Johns Ziel ist damit klar umrissen: Die alten Dinosaurier der tschechischen Politik sollen endlich weg. Parallelen zum Schuss vom Panzerkreuzer Aurora, der in Russland 1917 die Oktoberrevolution einleitete, wies John aber zurück. Er sei schließlich kein Linker, schon gar kein Kommunist. „Wir sind eine liberale Partei“, betonte der 58-jährige bärtige Politiker.

Radek John kommt freilich nicht aus dem Nichts. Der studierte Regisseur hat zahlreiche Filme gedreht. Berühmtheit erlangte er aber eher als Chef einer investigativen Redaktion beim privaten Fernsehsender „TV Nova“. Die von ihm geleitete Truppe deckte in der Sendereihe „Mit eigenen Augen“ Dutzende von Skandalen auf, vor allem in der tschechischen Politik.

Anwalt der kleinen Leute

John wurde für die Tschechen zu einer Art Anwalt der kleinen Leute, die sich von der Obrigkeit und der allgegenwärtigen Bürokratie schikaniert fühlen. Für sie kämpfte er – auch immer mit einem kräftigen Schuss Populismus.

Den Kampf gegen die Korruption hat sich seine Partei auf die Fahnen geschrieben. Wer für sie kandidieren will, muss damit rechnen, auf die Probe gestellt zu werden. John schickt Gewährsmänner aus, die den potenziellen Kandidaten ein unlauteres Angebot machen. Wer den Bestechungsversuch nicht meldet, fliegt raus.

Derlei kommt bei den politikverdrossenen Tschechen hervorragend an. Die sind nämlich an ein ganz anderes Verhalten vieler ihrer Politiker gewöhnt. Jiří Pehe, einstiger Chefberater von Václav Havel, schimpfte jüngst bei einem Wahlkampfauftritt für VV über die Selbstbedienungsmentalität in der tschechischen Politik und mahnte eine völlig neue Politikkultur mit neuen, unverbrauchten Leuten ein. Leuten wie Radek John eben.

Das hohe Maß an Vertrauenswürdigkeit, das John für viele Tschechen verkörpert, hat freilich auch schon einen Dämpfer bekommen. In seinem Privatleben gibt es einen dunklen Punkt: Er unterhielt über Jahre ein außereheliches Verhältnis, aus dem ein Kind hervorgegangen ist. Als er dies seiner langjährigen Ehefrau beichtete, warf diese ihn hinaus.

Besagte Ehefrau ist in Tschechien mindestens ebenso populär wie Radek John selbst: Es handelt sich um die Schauspielerin Zlata Adamovska, eine rothaarige Schönheit, die ihrem Ex zwar die Daumen für seine politische Karriere drückt, aber bezweifelt, dass er tatsächlich das Vertrauen der Wähler verdient.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.05.2010)

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