Als in Wien die Schieber und Nachrichtenhändler gediehen

„Der dritte Mann“ prägte Wiens Image wie kaum ein anderer Film. Ein Grazer Journal leuchtet seine Hintergründe aus.

Siebzig Jahre ist es her, dass in London ein Film Weltpremiere hatte, der wie kein anderer das Image Wiens als Spionagemetropole prägte: Carol Reeds „Der dritte Mann“. Dabei geht es in dem Film eigentlich gar nicht um Spionage, sondern um verbrecherische Schiebereien und Schwarzmarktgeschäfte. Für das in Graz erscheinende „Journal für Geheimdienst-, Propaganda- und Sicherheitsstudien“ (2/2019) ist das 70-Jahr-Jubiläum Anlass, sich gleich in elf Beiträgen mit dem Film aus verschiedenen Blickwinkeln auseinanderzusetzen. Klar, dass dabei Überschneidungen und Wiederholungen nicht zu vermeiden waren.

Der interessanteste Aufsatz stammt vom unermüdlichen freischaffenden Historiker Thomas Riegler, der den geheimdienstlichen Hintergrund des Films ausleuchtet. Schließlich waren der Produzent (Alexander Korda), der Drehbuchautor (Graham Greene) und das reale Vorbild (Kim Philby) für eine der Hauptfiguren (Harry Lime) ehemalige beziehungsweise aktive Geheimdienstler. Und wenn „Der dritte Mann“ auch keine klassische Spionagegeschichte ist, der Schauplatz – das in vier Besatzungszonen aufgeteilte, zerbombte Wien – verlieh dem Film eine einzigartige geheimdienstliche Aura, die durch die unverwechselbaren Zitherklänge von Anton Karas nur noch verstärkt wurde.

Thomas Riegler beschreibt das damalige Wiener Milieu: „Drei Jahre nach Kriegsende war die gesamte soziale Struktur noch erschüttert von Mangelwirtschaft, Chancenlosigkeit, ungeklärten Eigentumsfragen und gerade einmal begonnener Identitätsfindung. Gleichzeitig begannen die ursprünglich vorangetragene Entnazifizierung und die juristische Verfolgung von NS-Tätern mit der 1947 beschlossenen Amnestie der Minderbelasteten wieder abzuflauen. Es war ein gesamtgesellschaftliches Klima, in dem Abenteurer, Nachrichtenhändler und Schieber gediehen.“

Ohne den geheimdienstlichen Hintergrund sei der der legendäre Filmklassiker nicht gänzlich zu verstehen, meint Riegler. Für sich genommen sei „Der dritte Mann“ eine Spionagegeschichte, die die Bedingungen im besetzten Nachkriegsösterreich ausleuchte und die spannungsgeladenen Jahre der frühen Kalten Kriegs widerspiegle. Wer Rieglers Aufsatz und weitere Beiträge dieses Heftes liest, wird beim Wiedersehen von „Der dritte Mann“ etliches Neues entdecken können.

Der deutschen Außenpolitik stellt der Historiker und frühere Spitzenbeamte im deutschen Verteidigungsministerium, Ulrich Schlie, gar kein gutes Zeugnis aus. In der Berliner Monatszeitschrift „Cicero“ (9/2019) schreibt er, die Außenpolitik Berlins habe keine langfristige strategische Ausrichtung und sei nicht fähig, eigene Interessen zu definieren. Die große Debatte, die über klassisches Ressortdenken hinaus darüber geführt werde, was deutsche Außenpolitik können soll und können will, bleibe aus, dafür werde der Vorliebe vieler Deutscher für ein „Weiter so“ gehuldigt.

Schlie fragt, ob deutsche Schwäche und nicht etwa die von anderen europäischen Staaten befürchtete deutsche Dominanz das eigentliche Problem sei. Er sieht auch nicht Trumps Präsidentschaft als Hauptgrund für die zunehmenden Differenzen Deutschlands mit den USA, der Entfremdungsprozess habe schon früher eingesetzt. Schlie hofft, dass eine enge deutsch-französische Achse wieder zur steuernden Kraft in Europa wird und die EU befähigt, sich in der rapide verändernden Welt zu behaupten.

E-Mails an: burkhard.bischof@diepresse.com

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