Sneakers: Ein ästhetisches, ein moralisches Problem

Sollen nur junge Menschen Sneakers tragen?
Sollen nur junge Menschen Sneakers tragen?imago images / Runway Manhattan
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Folgender Zwiespalt brachte mich in diesen vergangenen Wochen um die Seelenruhe: Soll man ab einem gewissen Alter noch Sneakers tragen?

Früher sagte man „Turnschuhe“, aber daran können sich nur mehr jene wenigen Menschen erinnern, die noch wissen, wie man einer Musikkassette Töne entlockt. Als ich heuer in mein fünftes Lebensjahrzehnt trat, nahm ich mir fest vor, dieses in „erwachsenem“ Schuhwerk zu durchwandern. Fortan wollte ich mich nur mehr in kunstfertig für die Ewigkeit Geschustertem aus dem Hause wagen, gleich einem der ob ihrer Sprezzatura so bewundernswerten Helden aus den Filmen von Michelangelo Antonioni. In Sneakers sieht man nämlich als Normalsterblicher jenseits der 30 nicht wie ein lässiger, jugendlicher Silicon-Valley-Gründer oder Cineast oder Laufstegfeschak aus, sondern wie Larry David in der Serie „Curb Your Enthusiasm“ (aber ohne die guten Pointen). Dem ästhetischen Argument trat ein podologisches zur Seite. In meiner Zeit als US-Korrespondent trug ich, da von zu Hause arbeitend und generell der amerikanischen Kleidungssitte folgend, soferne es sich nicht verhindern ließ, fast durchwegs Sneakers. Deren mieses Fußbett ließ meine Fußgewölbe ermatten; chronische Knieschmerzen waren die Folge. Und dann noch die ethische Frage: muss man die Arbeitsbedingungen in Turnschuhfabriken nicht boykottieren? Was würde Greta tragen? (Auf Fotos sehe ich Sneakers, aber sie sehen sehr handgefertigt und tugendhaft aus.)

Dies die Theorie. In der Praxis jedoch brauche ich Schuhe, in denen ich morgens im Laufschritt all das zu überwinden vermag, was sich mir und meinem Kind auf dem Weg in die Vorschule entgegenstellt: Hundekot, umgekippte Elektroroller, das Erbrochene fröhlicher Zecher. Das geht nicht in rahmengenähten Budapestern, nicht in Oxfordern aus Ochsenleder. Und so schreibe ich diese Zeilen in einem Paar flauschiger Sneakers. Stolz macht mich das nicht. Aber Gott im Himmel, sind die komfortabel!

E-Mails an:oliver.grimm@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.09.2019)

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