Morgenglosse

Sebastian Kurz' Denkfehler

Die Presse (Michaela Bruckberger)
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Die Forderung nach einer Verdoppelung der Medizinstudienplätze basiert auf einem weitverbreiteten Missverständnis.

Lange Wartezeiten in Ambulanzen und Ordinationen? Ärztemangel! Unbesetzte Kassenstellen in Fächern wie Gynäkologie, Kinderheilkunde und Psychiatrie? Ärztemangel! Zu wenig Allgemeinmediziner auf dem Land? Ärztemangel! Gangbetten? Ärztemangel!

Wenn man es oft genug hört und liest, glaubt man es irgendwann auch. Und ganz falsch ist es ja nicht, in Österreich gibt es so etwas wie einen strukturellen oder gefühlten Ärztemangel. Aber nicht, weil es an Ärzten mangeln würde, sondern weil es zu wenig Ärzteposten in Spitälern und zu unattraktive Kassenstellen im niedergelassenen Bereich gibt. Also weichen viele Absolventen in den wachsenden Privatsektor oder ins benachbarte, praktischerweise auch noch deutschsprachige Ausland aus, wo sie wegen des stärkeren Wettbewerbs auf dem Gesundheitssektor deutlich mehr verdienen. Mit dem Resultat langer Wartezeiten, unbesetzter Kassenstellen, ländlicher Räume ohne Hausarzt und Gangbetten im Winter.

Wenn man dann im Wahlkampf auch noch mitbekommt, dass in diesem Jahr an den Universitäten in Wien, Graz, Linz und Innsbruck von den 16.443 Bewerbern nur 1680 genommen werden konnten, liegt die Forderung nach mehr Studienplätzen nahe. Aber eben nur dann, wenn man diesen Gedanken nicht zu Ende gedacht hat. Denn ein beträchtlicher Teil der Absolventen - wenn schon nicht die immer wieder kolportierte Zahl von 40 Prozent, dann zumindest 30 Prozent - verlässt Österreich unmittelbar nach dem Studium. Einem Studium, das den Staat rund eine halbe Million Euro gekostet hat. Man muss kein Gesundheits- oder sonstiger Ökonom sein, um die Ineffizienz der Forderung nach einer Aufstockung von Studienplätzen zu erkennen. 

Nun ist es noch irgendwie verständlich, dass Niederösterreichs Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner die Studienplätze verdoppeln will - bezahlen müsste es ja der Bund, nicht das Land. Aber wie konnten Sebastian Kurz und sein Team diesem Irrtum aufsitzen? Ist es die Angst davor, irgendwann ohne Ärzte dazustehen?

Vielleicht wurde der Begriff Ärztemangel wirklich überstrapaziert. Und hätte schon viel früher ersetzt werden sollen. Durch einen, der nicht nur geeigneter ist, sondern auch weniger Raum für Missverständnisse lässt. Nämlich: Mangelversorgung.

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