Mützenich zum SPD-Fraktionsvorsitzenden gewählt

Rolf Mützenich will als Fraktionschef weiterhin die Große Koaliton unterstützen.
Rolf Mützenich will als Fraktionschef weiterhin die Große Koaliton unterstützen.APA/dpa/Wolfgang Kumm
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Der Übergangs-Fraktionschef übernimmt nun dauerhaft die SPD-Fraktion im deutschen Bundestag. Die Suche nach einem Parteispitzen-Duo läuft auf Hochtouren.

Erst war er nach dem Rücktritt von Andrea Nahles nur der Mann für den Übergang - an diesem Dienstag wurde Rolf Mützenich mit überwältigender Mehrheit offiziell zum SPD-Fraktionschef gewählt. Der 60-Jährige erhielt die Unterstützung von 97,7 Prozent der Abgeordneten für sein neues Amt.

Dabei dürfte die Sehnsucht vieler Sozialdemokraten nach linkeren Positionen eine Rolle gespielt haben - allerdings gilt Mützenich als moderater Linker.

Lob erhält er ohnehin von allen Seiten. "Er setzt auf Inhalt statt auf Effekthascherei", sagte der Chef der Parlamentarischen Linken der SPD, Matthias Miersch, vor der Abstimmung den RND-Zeitungen. Doch auch Achim Post von Seeheimer Kreis der SPD-Rechten signalisierte Unterstützung und beschrieb Mützenich als "kompetent und zielorientiert".

In stürmischen Zeiten übernommen

Als dieser als dienstältester Fraktionsvize Anfang Juni die kommissarische Leitung übernahm, lagen bei den SPD-Abgeordneten die Nerven blank. Nach längerem Hin und Her hatte sich Nahles nach der verlorenen Europawahl zum Rückzug von Fraktions- und Parteispitze entschieden. Schnell verständigte sich die Fraktion daraufhin darauf, dass Mützenich kommissarisch das Ruder übernimmt.

In den Monaten danach gelang es ihm, die Fraktion zu beruhigen und die inhaltliche Arbeit voranzutreiben. Im Bundestag konterte er Forderungen von CDU-Chefin und Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer mit dem Hinweis, sie solle statt Forderungen zu erheben, erst vorhandene Schwachstellen in der Bundeswehr abstellen. Auch forderte er einen "breiteren Sicherheitsbegriff", als nur auf "Stärke und Abschreckung" zu setzen.

Für Aufsehen sorgte Mützenich im Sommer mit der Aussage, US-Präsident Donald Trump sei Rassist. Hintergrund waren damals dessen Hasstiraden gegen farbige Kongressabgeordnete. Regelmäßig meldet sich der Sozialdemokrat, der als Fraktionsvize für Außen- und Sicherheitspolitik zuständig war, auch bei Menschenrechtsthemen zu Wort. So ging er auf deutliche Distanz zu Machthabern in einigen arabischen Ländern und auch zum türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan.

Im Verhältnis zu Russland warb Mützenich dagegen mehrfach für Initiativen zur Verbesserung des angespannten Verhältnisses und einen Abbau der wegen der russischen Ukraine-Politik verhängten Sanktionen. Dabei rügte er auch seinen Parteifreund, Außenminister Heiko Maas, als der nach seiner Auffassung einen zu harschen Kurs gegenüber Russland Präsident Wladimir Putin einschlug.

Komproiss bei Anti-IS-Einsatz

Einlenken musste Mützenich kürzlich in der Debatte um eine Verlängerung des Anti-IS-Mandats der Bundeswehr, die er gemäß früheren Absprachen der Koalition zunächst ablehnte. Das Ergebnis ist ein Kompromiss: Die deutschen Tornado-Aufklärer dürfen weiterfliegen, doch nur noch für ein halbes Jahr.

In der Rolle des kommissarischen Fraktionschefs meldete sich Mützenich zuletzt auch zunehmend in anderen Politikfeldern zu Wort. "Wir müssen versuchen, die Spaltungen, die unsere Wirtschaftsordnung hervorbringt, so klein wie möglich zu halten", verband er in der Haushaltsdebatte versöhnliche Töne mit Kapitalismuskritik. Auch rief er dazu auf, sich "Demagogen mit aller Kraft entgegenzustellen".

Im Deutschen Bundestag gehört der 60-Jährige zu denjenigen, die Wert auf Abgrenzung zum Lobbyismus legen. "Mein Mandat steht für mich im Mittelpunkt meiner Arbeit", betont Mützenich auf seiner Homepage, über Einkünfte aus Nebentätigkeiten oder zur Wahrnehmung von Lobbyinteressen verfüge er nicht. Stattdessen engagiert sich der zweifache Vater ehrenamtlich für den Verein Kindernöte und andere Nichtregierungsorganisationen.

Mit der Wahl von Mützenich zum Fraktionschef ist nun wenigstens eine große Personalfrage bei den Sozialdemokraten erledigt. Beim ebenfalls vakanten Parteivorsitz wird dies abschließend erst Anfang Dezember der Fall sein.

In der heiklen Frage des Verbleibs in der Großen Koalition bekennt sich Mützenich zu dem Regierungsbündnis. Allerdings sei "eine Koalition nie Selbstzweck, sondern sollte immer dem Wohl des Landes und der Menschen dienen".

Rennen um Parteispitze noch völlig offen

Die Suche nach neuen Vorsitzenden für die SPD in Deutschland könnte unterdessen unerwartete Ergebnisse bringen. So erscheint das Rennen auch für das politische Schwergewicht unter den Bewerbern, Deutschlands Finanzminister Olaf Scholz in der Koalition aus CDU, CSU und SPD, und seine Teampartnerin Klara Geywitz noch völlig offen.

Zumindest zeigt sich das, wenn man die Reaktionen bei nun rund der Hälfte der 23 Regionalkonferenzen heranzieht. Noch bis 12. Oktober touren die Kandidatenduos - sieben sind es noch - durch Deutschland. Im Willy-Brandt-Haus gibt man sich euphorisch über die Wirkung der Castingtour. So wartet der kommissarische SPD-Chef Thorsten Schäfer-Gümbel am Dienstagabend bei der exakt in der Tourmitte platzierten Veranstaltung in der überfüllten Parteizentrale mit Zahlen auf: Überall seien die Veranstaltungen voll gewesen, 4350 Kilometer hätten die Kandidaten jeweils zurückgelegt, 7500 Besucher habe es gegeben - und 226.000 im Livestream. Rund 3.500 Eintritte verzeichnete die SPD seit Juli.

Tatsächlich scheint das Verfahren zur Suche von Nachfolgern für die zurückgetretene Parteichefin Nahles eine Sehnsucht in der Partei zu befriedigen - nach Mitreden, ordentlichem Umgang und Selbstvergewisserung. Kaum ein Kandidatenteam, das nicht immer wieder betont, wie wichtig Solidarität untereinander sei. Passend zu diesen Befindlichkeiten stehen ursozialdemokratische Themen wie faire Löhne, ein gerechtes Steuersystem oder bezahlbare Wohnungen im Vordergrund. Bemerkenswert: Der Klimaschutz, in Zeiten von Fridays for Future in aller Munde, spielt nicht die zentrale Rolle.

Die SPD sinkt bei Umfragen immer tiefer ab. Im Insa-Meinungstrend für die "Bild"-Zeitung vom Dienstag kam sie nur noch auf 11,5 Prozent. CDU/CSU legten dagegen einen halben Punkt auf 27,5 Prozent zu. Nächster großer Test für diese beiden Parteien sind die Wahlen am 1. September für die Regionalparlamente in den ostdeutschen Bundesländern Brandenburg und Sachsen.

(APA/AFP)

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