Todeskult im Kitschgewand: Die unheimlich fröhlichen Menschen wecken Sehnsucht nach dem Schutz der Dunkelheit – aber dunkel wird es hier nie.
Kino

„Midsommar“: Wahnsinn der Volksgemeinschaft

Ari Asters wuchtiges Horrordrama „Midsommar“ tanzt am helllichten Tag einen Reigen des Grauens um den Maibaum des Bösen.

Es wirkt zu schön, um wahr zu sein. Glückliche Gesichter, Tanz und Gesang, das Leben als Picknick im Grünen. Frieden und Eintracht in weißer Einheitstracht, ein makelloses Paradies auf Erden. Oder doch nicht? „So viele Käfer!“, bitzelt der US-Tourist, während er durch die Kommunenweide watet. Filmfans horchen auf: Das klingt nach diabolischem Gewurl hinter elysischem Idyll, nach dem berühmten Vorstadt-Kippbild aus David Lynchs „Blue Velvet“. Doch der Kassandraruf bleibt unvernommen. Wie kleinlich klingt die Klage im Angesicht utopischer Pracht! Kann hier, in diesem unberührten Garten Eden, wirklich der Wurm drinstecken?

Er kann. Und wie. Darauf sollten Sie gefasst sein, wenn Sie sich „Midsommar“ zu Gemüte führen – den jüngsten Terrortrip des aufstrebenden amerikanischen Autorenfilmers Ari Aster. Am Freitag startet er in Österreich. Kenner von Asters Langfilmdebüt „Hereditary“ (der 2018 bei uns lief) brauchen ohnedies keine warnenden Worte. Ein verkorkstes Familiendrama eskalierte darin sukzessive ins Unerträgliche, mit allen Mitteln wurde Beklommenheit genährt. Die souveräne Inszenierung beeindruckte die Kritik ebenso wie der Fokus auf psychische Drangsal: Aster markierte emotionale Sippenhaftung als Quell übernatürlicher Qual, spielte mit der Angst vor genetischer Erblast – und etablierte sich schlagartig als Hoffnungsträger zeitgenössischen Kunsthorrors.

Nun liegt mit „Midsommar“ sein Zweitling vor. Wieder ein Unwohlfühlfilm, wieder enorm ambitioniert. Die Eröffnungsszenen scheinen direkt an „Hereditary“ anzuschließen: eine Beziehung über dem Ablaufdatum, eine Verwandte mit bipolarer Störung. Eingekapselt in düstere Wohnkulissen wird man Zeuge eines familiären Schicksalsschlags; die Stimmung ist ein Schraubstock, die Schnitte sind abgehackt, jedes Geräusch schabt wie quietschende Kreide am Trommelfell. Nichts wie weg! Meinen auch Dani (Florence Pugh) und Christian (Jack Reynor). Und folgen der Einladung eines schwedischen Studienkollegen (Vilhelm Blomgren). In dessen Heimatdorf, wo zur Sommersonnenwende stets harmonisches Hochgefühl herrscht, will das Paar wieder zu sich finden.

Der Kontrast könnte kaum krasser sein: Aus drückender Finsternis stolpert man in blühende Landschaften voller flötender Fröhlichkeit. Kein Handyempfang, rustikale Holzhütten, zwischen denen sich Kühe tummeln – und herzhafte Menschen, die Brot backen oder barfuß durchs Gras hüpfen. Dennoch wirkt alles etwas unheimlich im kalten Licht der Mitternachtssonne, weckt Sehnsucht nach dem Schutz der Dunkelheit. Aber dunkel wird es nie.

Nur nicht auf den Ahnenbaum pinkeln!

Man muss den britischen Kultklassiker „The Wicker Man“ (ein klares Vorbild Asters) nicht gesehen haben, um vorauszuahnen, das Übles im Busch ist. Doch wo es dort um den Clash zwischen Christen- und Heidentum ging, schielt der Subtext von „Midsommar“ auf die politische Gegenwart, auf die Heilsversprechen unbedachter Ursprungsfantasien. Denn eine Hippie-Gemeinde ist der Hauptschauplatz des Films nur an der Oberfläche. Hinter freigeistiger Wellness-Fassade, weltumarmender New-Age-Esoterik und Biobauernhof-Seligkeit schwelt eine archaische Reinheitsideologie.

Die Stück für Stück durchscheint. Beim Reigen um den Maibaum jubelt die Menge „in lebensbejahender Verachtung des Schwarzen“. Auf Tradition lege man großen Wert, meint einer der Dorfältesten. Die Blutlinie werde wohl gepflegt, Arbeit nach Eigenschaften verteilt, die man schon in Kinderschuhen zeige. Ungustiöse Malereien und Runen schreien von den Wänden, was späterhin grausige Rituale bestätigen: Der Glanz dieser Volksgemeinschaft trügt. Wehe dem, der auf den Ahnenbaum pinkelt!

Beim narrischen Schwammerltrip wird Dani eins mit der Natur – oder verschmilzt sie bloß mit der Scholle? Auf sie, die Traumatisierte, haben es die Rädelsführer abgesehen, buhlen um ihre Gunst. Und zwar, indem sie ihre Gefühle ernst nehmen: Während Danis Freund sich selbstsüchtig von ihrem Leid abwendet, abgelenkt von Dorfschönheiten und Dissertationsplänen, hört der Clan ihr zu, schließt sie per Urschreitherapie in ihre Mitte, macht sie zur Galionsfigur des Todeskults im Kitschgewand.

Der Weg zum schmerzhaften Finale ist steinig und dauert zweieinhalb Stunden. 90 Minuten hätten es auch getan. Doch Aster pflegt die große Geste, heischt das zerdehnte Spannungsvirtuosenstück, eifert erhabenen Spitzenästheten wie Kubrick nach. Ein niederschmetternder Wuchtbrocken soll „Midsommar“ sein, ein Boutique-Albtraum für feinere Geschmäcker – passend zum Katalog seines Produzenten, der Hipster-Filmschmiede A24. Dennoch erfreulich, dass der Film auch die Multiplexe durchwalken darf – verstörend und hintersinnig ist seine Sonnwendfeier allemal. Und als zum Schluss die Coverversion eines Walker-Brothers-Hits ertönt, atmet man erleichtert auf: „The Sun Ain't Gonna Shine (Anymore)“.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.09.2019)


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