Dieselskandal

Anklage gegen amtierende VW-Spitze

Auch der aktuelle VW-Chef, Herbert Diess, ist im Dieselskandal nun ins Schussfeld der Justiz geraten.
Auch der aktuelle VW-Chef, Herbert Diess, ist im Dieselskandal nun ins Schussfeld der Justiz geraten.(c) APA/AFP/GEOFF ROBINS (GEOFF ROBINS)
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Nicht nur Ex-VW-Chef Martin Winterkorn muss sich vor Gericht verantworten. Auch Konzernchef Herbert Diess und Aufsichtsratschef Hans Dieter Pötsch werden angeklagt.

Wien. Der 18. September 2015 liegt bereits mehr als vier Jahre zurück. Damals machte die US-Umweltbehörde EPA publik, dass VW bei seinen Dieselmotoren illegale Abschalteinrichtungen eingebaut hat, die erkennen können, ob das Auto auf dem Prüfstand steht oder nicht. Wirtschaftlich hat der größte Autohersteller der Welt den darauf folgenden Dieselskandal bereits weitgehend verdaut. So wurden rund 30 Milliarden Euro in die Hand genommen, um Strafen dies- und jenseits des Atlantiks zu bezahlen. In den USA wurden auch die Kunden großzügig entschädigt.

Juristisch ist die Aufarbeitung des Skandals aber noch im vollen Gange. Und am Dienstag erfolgte ein neuerlicher Höhepunkt. So erklärte die Staatsanwaltschaft Braunschweig, dass sie nicht nur Ex-VW-Chef Martin Winterkorn, sondern auch den amtierenden Konzernlenker Herbert Diess und den ehemaligen Finanzvorstand und jetzigen Aufsichtsratschef Hans Dieter Pötsch anklagen wolle. Sie wirft den drei Topmanagern Marktmanipulation vor, weil sie die Pflicht zur Information des Kapitalmarkts verletzt hätten.

Börse zu spät informiert?

Die Vorwürfe sind somit zwar nicht ganz so heftig wie bei der Anklage, die bereits im April erhoben wurde. Damals klagte die Staatsanwaltschaft Braunschweig Winterkorn sowie vier weitere VW-Manager wegen besonders schweren Betrugs, Verstößen gegen das Gesetz gegen unlauteren Wettbewerb, Steuerhinterziehung und mittelbarer Falschbeurkundung an. Winterkorn wurde im Frühjahr zudem Untreue vorgeworfen, weil er den Einbau der Abschaltvorrichtungen wider besseres Wissen nicht untersagt habe.

Nun geht es darum, dass Winterkorn, Diess und Pötsch die VW-Aktionäre nicht sofort über die Manipulationen und die in der Folge wahrscheinlichen Kosten für das Unternehmen unterrichtet haben, sobald sie selbst Kenntnis darüber erlangten. Die Manager hätten die Börse vorsätzlich zu spät über die aus der Aufdeckung der Abgasmanipulationen resultierenden erheblichen Zahlungsverpflichtungen des Konzerns in Milliardenhöhe informiert und damit rechtswidrig Einfluss auf den Börsenkurs des Unternehmens genommen.

Nach Überzeugung der Ermittler erfuhren alle drei Angeklagten schon früh von den Abgasmanipulationen. Winterkorn habe spätestens im Mai 2015 davon Kenntnis gehabt. Pötsch sei seit dem 29. Juni 2015 informiert gewesen. Und auch Diess, der erst im Juli 2015 seine Tätigkeit bei VW aufnahm, habe seit dem 27. Juli bereits genügend Informationen über die Manipulationen gehabt.

Jeder für sich hätte ab dem jeweiligen Zeitpunkt die erforderliche Ad-hoc-Mitteilung veranlassen müssen, was nicht geschehen sei. Volkswagen hatte erst im September 2015 auf Druck der EPA zugegeben, millionenfach Abgaswerte manipuliert zu haben.

Noch am gestrigen Dienstag trat der VW-Aufsichtsrat in einer Telefonkonferenz zusammen, um das weitere Vorgehen zu besprechen. In einer ersten Stellungnahme danach hieß es, dass sowohl Diess als auch Pötsch trotz Anklage im Amt bleiben sollen.

Der Rechtsanwalt von Herbert Diess teilte auch bereits mit, der VW-Vorstandschef werde sich mit allen rechtlichen Mitteln gegen die Vorwürfe verteidigen. Weder Fakten noch die Rechtslage rechtfertigten die Anklage. Auch die Anwälte von Pötsch und Winterkorn wiesen die Anklage als unbegründet zurück.

Gericht muss Anklage prüfen

Bevor es zu einem Gerichtsverfahren kommt, muss die Anklage vom Landgericht Braunschweig aber erst geprüft werden. Und das ist keine Formsache. So gab es laut deutschen Medienberichten zuletzt massive Kritik an der im April erstellten Anklage gegen Winterkorn und die vier weiteren VW-Manager. Das Gericht soll in einigen Punkten Konkretisierungen sowie ein Sachverständigengutachten gefordert haben, bevor es zu einem Verfahren kommen könne.

Unabhängig vom Fall VW hat die Staatsanwaltschaft Stuttgart am Dienstag bekannt gegeben, dass sie gegen den Autohersteller Daimler ein Bußgeld in Höhe von 870 Mio. Euro verhängt hat.

Grund ist eine fahrlässige Verletzung der Aufsichtspflicht in einer mit der Fahrzeugzertifizierung befassten Abteilung. Dadurch hätten Dieselfahrzeuge Genehmigungen erhalten, obwohl der Ausstoß von Stickoxiden zu hoch war.

Daimler kündigte an, nicht zu berufen, sondern die Strafe zu bezahlen. (jaz/ag.)

Auf einen Blick

Vier Jahre nachdem der Dieselskandal bei VW publik geworden ist, holt das Thema den Konzern juristisch ein. So erhob die Staatsanwaltschaft Braunschweig am Dienstag Anklage gegen Ex-VW-Chef Martin Winterkorn, aber auch gegen den aktuellen Konzernchef, Herbert Diess, und Aufsichtsratschef Hans Dieter Pötsch. Sie sollen sie die Börse und somit die Anleger zu spät über den Skandal informiert haben.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.09.2019)

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