Alle drei bis vier Jahre veröffentlichen Deichkind ein neues Opus, das Prollgestus mit einmal subtilen, einmal brachialen Denkanstößen verbindet.
Tech-Rap

Deichkind dröhnt clever am Zeitgeist

Die Spaß-Anarchie-Band aus Hamburg legt ihr siebtes Opus, „Wer sagt denn das?“, vor.

„Aus Bock haben wir eine halb kaputte Vuvuzela aus dem Tierheim geholt. Und was macht die? Sie trötet unsere Sprechsänger von hinten die ganze Zeit an, damit die mal ihre Dinge geregelt kriegen.“ So beschreibt das Management von Deichkind die Bemühungen der auch schon 22, 23 Jahre aktiven Krawallclowns aus dem hohen Norden um das Video zu ihrem neuen Song „Dinge“. MC Sebastian „Porky“ Dürre, Sänger Philipp Grütering und Henning Besser alias DJ La Perla haben als konventionelles Hip-Hop-Ensemble begonnen, sich mit den Jahren immer mehr radikalisiert und musikalisch Richtung Techno und Theaterspektakel entwickelt.

Alle drei bis vier Jahre veröffentlichen sie ein neues Opus, das Prollgestus mit mal subtilen, mal brachialen Denkanstößen verbindet. Im Nachhinein weiß man gar nicht mehr, ob Deichkind Losungen wie „Leider geil“, „Bück dich hoch“ und „Like mich am Arsch“ dem Volk vom Munde abgeschaut oder selbst erfunden haben. Der Schlüsselsong des neuen Albums dieser Hamburger Spaßanarchisten nennt sich „Wer sagt denn das?“ und legt den Finger in eine Wunde der Gegenwart, die sich einfach nicht schließen will. Seit Donald Trump die Idee von Fake News und alternativen Fakten populär gemacht hat, hört das Zweifeln am (früher) Selbstverständlichen nicht auf.

„Wer sagt denn, dass der Gewinner nicht eigentlich verliert und sich das Internet nicht eines Tages doch noch etabliert“, bellt Porky in die knüppelnden Beats und das spielhallenartige Keyboardfiepsen. Das Prinzip „Stille Post“ hat sich in digital befeuerten Zeiten mächtig verkompliziert. „Alexa und Siri, die Cloud und dein Boss, die Stille Post und die Stimmen in deinem Kopf, der Guru, der Trainer, der TÜV und der Mob, der hat's von Tinder und die haben's von Gott“, kommentieren Deichkind das Meinungsgewirr der Gegenwart.

Der Vollrausch ist Systemkritik

Abseits solch cleverer Sozialkritik bieten Deichkind auch andere Lieder, nämlich solche, die das wüste Leben feiern. Am Phänomen Alkohol arbeiten sich die Burschen schon seit vielen Jahren ab. Der Vollrausch ist bei ihnen zuweilen Systemkritik, letzte Bastion der Abweichung in einer Gesellschaft, die immer rigider die Totalanpassung fordert. Zu hochprozentigen Songs wie „Roll das Fass rein“, „Prost“ und „99 Bierkanister“ gesellt sich nun „1000 Jahre Bier“, ein böllerndes Loblied auf die Fettleber, das beinah so martialisch klingt wie Rammstein. Besieht man sich das Kleingedruckte, muss man entdecken, dass da tatsächlich Rammstein-Sänger Till Lindemann mitgrölt. Auch Bela B., Olli Schulz und Felix Brummer von Kraftklub machen gemeinsame Sache mit Deichkind. Wie auch Jan Böhmermann, der als Gastrapper fungiert. Mit der Punchline „Eigentlich musst du nicht ins Heim, aber wir brauchen dein Zimmer, Oma“, setzt die Kombo ihre schräge Gerontophilie fort, die mit dem Smash „Oma gib Handtasche“ begonnen hat. Mit rhythmisch eingängigen Krachern wie „Keine Party“ glücken unwiderstehliche Floorfiller. Ebenso mit dem schwer technoiden „Sonate in F-Doll“, das davon abrät, sich Sorgen zu machen.

„Gut, aber haben Sie auch Ketchup?“

Mit so geraden Beats haben Deichkind schon lange nicht mehr terrorisiert. Einmal mehr sind sie ganz nah am Zeitgeist, ohne Sklave desselben zu werden. Dieses pfiffige Album ist reelles Abbild einer verwirrten, polarisierten Gesellschaft. Deichkinds grimmiger Humor bestätigt die Hörer auf vitale Art in ihrer Existenz. Sätze wie „Eigentlich schmeckt es ganz gut, aber haben Sie auch Ketchup?“ fallen in dieser Welt wohl permanent. Für die, denen das Gedröhne auf Dauer ein wenig infantil anmutet, hat DJ La Perla ein Zitat von Glenn Gould auf Lager: „Kinder sehen alles im Nichts, Erwachsene dagegen nichts in allem.“ Das ist wohl die Rezeptionsanleitung.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.09.2019)

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