Kritik

„Abschied von den Eltern“: Ausbruch aus der familiären Enge

Burgschauspieler Sven Dolinski spielt die Hauptfigur, den Schriftsteller und Experimentalfilmer Peter Weiss.
Burgschauspieler Sven Dolinski spielt die Hauptfigur, den Schriftsteller und Experimentalfilmer Peter Weiss. (c) Stadtkino
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Astrid Johanna Ofners essayistische Adaption von Peter Weiss' autobiografischer Erzählung „Abschied von den Eltern“ läuft derzeit im Wiener Stadtkino.

Standardklage bei Literaturverfilmungen: Sie werden dem Buch nicht gerecht. Dem sei ein Standardlob beigestellt: Immerhin rücken sie die Bücher wieder ins Bewusstsein. So auch „Abschied von den Eltern“, der erste Langfilm der österreichischen Künstlerin Astrid Johanna Ofner. Er nähert sich dem gleichnamigen Werk von Peter Weiss. Eine autobiografische Großtat, ein präziser, kompromissloser und zärtlicher Akt der Bewältigung persönlicher Vergangenheit.

Ofners Zugang zum Text ist essayistisch und illustrativ. Auf der Tonebene das eindringliche Sprachmaterial, klar und ernst gesetzt von Burgschauspieler Sven Dolinski: die dumpfe Kindheit des Autors, seine verzweifelte Selbstsuche, zaghafter Aufbruch zum Ausbruch aus bürgerlicher Enge – und aus dem verhängnisvollen Strom der Geschichte. Hitlerismus, auf den Punkt gebracht in knappen Sätzen: „Wir fühlten nur unsere Überwältigung, den Inhalt fassten wir nicht. Es war ja kein Inhalt da. Nur unerhörte Ausmaße von Leere.“ Der Duktus bleibt weithin getragen und schwermütig, punktiert von sporadischen Lichtblicken. Schönheit liegt hier in der Genauigkeit des Ausdrucks.

Im Bild: diverse Weiss-Archivalien. Fotos, Briefe, Bilder. Aufnahmen seiner Lebensräume: Bremen, Berlin, Alingsås. Format, Licht und Farbgebung ändern sich je nach Gefühlslage. Der Film sucht auch Verbindungen zur Gegenwart, verortet Weiss' Verlorenheit in zeitgenössischen Großstadtansichten, Kamerafahrten entlang von Einkaufsmeilen. Zuweilen auch über wortlose Spielszenen: Regisseur Lawrence Tooley gibt einen Kurzzeit-Kompagnon der Hauptfigur. Dazu röhrt „London Calling“ von The Clash. Anderswo sind Webern und Bach als musikalische Gesten eingesetzt.

Manchmal sieht man Dolinski auch einfach nur vorlesen. Und denkt an „Die Geträumten“, Ruth Beckermanns ungewöhnliche Adaption der Korrespondenz zwischen Celan und Bachmann. Doch Ofners Vorbilder heißen eher Straub und Huillet, in deren „Antigone“ sie einst die Titelrolle innehatte. Oder Peter Nestler, der Weiss' Vater seine Stimme leiht. An deren formale Stringenz kommt „Abschied von den Eltern“ nicht heran – vielleicht auch bewusst. Weiss' Text bleibt jedenfalls Zentralattraktion des Films. Zwischen den Zeilen birgt er einen anderen Abschied: Den Ofners von ihrem Lebensgefährten Hans Hurch, der am Drehbuch mitschrieb und 2017 überraschend verstarb.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.09.2019)

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