Konfrontation

Johnson provoziert das Parlament

Britisches Parlament
Britisches Parlament imago images/Mint Images
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Während die Abgeordneten nach Westminster zurückkehrten, machte Johnsons Regierung aus ihrer Feindseligkeit gegenüber dem Unterhaus kein Geheimnis. Der Premierminister ist trotz der Niederlage vor Gericht voll im Angriffsmodus.

Der britische Premierminister Boris Johnson hat dem aus dem Zwangsurlaub zurückgekehrten Parlament direkt den Kampf angesagt. In seiner ersten Stellungnahme vor den Abgeordneten erklärte Johnson Mittwochabend in London: „Sie haben bis morgen Zeit, einen Misstrauensantrag einzubringen. Werden Sie den Mut dazu haben?“ Die Schuld an drei Jahren „Verzögerung und Verschiebung“ gab er den Abgeordneten: „Die Menschen dieses Landes haben es satt. Es ist Zeit, den Brexit über die Bühne zu bringen.“

Hatte Johnson offensichtlich darauf gezielt, die Opposition zu provozieren, so ging sie ihm dennoch nicht in die Falle. Labour-Chef Jeremy Corbyn reagierte kühl auf die leidenschaftlichen Attacken des Premierministers: „Seine Stellungnahme hat denselben Wert wie seine Entscheidung zur Suspendierung des Parlaments: leer und wirkungslos.“ Johnson hätte bereits am Vortag nach seiner Niederlage vor Gericht „als Ehrenmann die Konsequenzen ziehen und zurücktreten sollen“.

Davon ist Johnson aber ebenso weit entfernt wie die Opposition bereit war, seiner Forderung nach Neuwahlen Folge zu leisten. In einer Atmosphäre offener Feindseligkeit warfen sich beide Seiten massive Angriffe entgegen. Der frühere konservative Abgeordnete Nicholas Boles, der im April aus Protest gegen die Hardliner in seiner Partei, die Fraktion verlassen hatte, meinte: „Ich würde gerne erfahren, auf welche Leistungen seiner bisherigen Amtszeit der Premierminister am stolzesten ist.“ Seit dem Einzug in die Downing Street hat Johnson eine Nachwahl verloren, ist bei allen Abstimmungen im Parlament unterlegen und hat zuletzt vor dem Höchstgericht eine historische Niederlage erlitten.

Schon vor dem Premierminister hatte Generalanwalt Geoffrey Cox den Konfrontationskurs der Regierung zu erkennen gegeben. Wer von der Regierung in der ersten Sitzung nach Rücknahme der Zwangsbeurlaubung des Parlaments Töne der Reue oder des Entgegenkommens erwartet hatte, wurde enttäuscht. „Dieses Parlament ist eine Schande“, donnerte Cox vor dem Unterhaus. Es habe „kein moralisches Recht mehr zusammenzutreten“, wütete er in Erwiderung auf die Aufforderung des Abgeordneten Rory Stewart zu bestätigen, dass die Regierung „die Souveränität des Parlaments“ anerkenne: „Dieses Parlament ist tot“, polterte Cox. Die Opposition, die bereits zwei Mal einen Neuwahlantrag abgelehnt hat, sei eine „rückgratlose Bande von Feiglingen“.

Zur Brexit-Verlängerung bereit

Die Chancen für Neuwahlen, wie sie die Regierung wünscht, blieben unverändert gering. Corbyn betonte, die führende Oppositionspartei sei „zu Wahlen bereit“, gab aber zu verstehen, dass es nicht mehr in der Macht des Premiers liege, den Zeitpunkt zu bestimmen: „Unsere Priorität ist es, zuerst einen No-Deal-Brexit zu verhindern.“

Die Liberaldemokraten gaben zu erkennen, dass sie nur bei einer weiteren Verschiebung des Brexit einer Auflösung des Parlaments zustimmen würden. Cox räumt ein, dass die Regierung ein Gesetz, das sie zum Ansuchen um eine Verlängerung zwingt, einhalten wird. Johnson hatte sich das bisher stets offengehalten und den Brexit am 31. Oktober „um jeden Preis“ angekündigt.

Die Strategie der Regierung ist es nun, das Parlament als Blockierer des Volkswillens zu beschädigen. Der Schlachtruf „Dieses Parlament ist tot“, sorgte bei der Opposition für riesige Empörung. Doch das Kalkül der Regierung ist offensichtlich: Die rechtswidrige Parlamentssuspendierung soll gleichsam als unbedeutend dargestellt werden, indem sie mit der Blockade des Brexit durch die Abgeordneten kontrastiert wird.
Die nach wenigen Wochen aus Protest gegen Johnsons Politik zurückgetretene Ex-Sozialministerin Amber Rudd sagte: „Ich warne Sie vor einem Szenario ,Das Volk gegen das Parlament‘“. Die Spaltung des Parlaments spiegle nichts anderes wider als die „tiefe Teilung, die sich durch das Land, die Gemeinden und die Familien“ ziehe.

Dass die Taktik „Das Volk gegen das Parlament“ sehr wohl aufgehen könnte, meint hingegen der Populismus-Forscher Matthew Goodwin: „Es gibt jede Menge Wähler, die das Urteil des Höchstgerichts als ein Hindernis bei der Umsetzung von etwas sehen, das sie vor drei Jahren entschieden haben.“ Dies könnte Johnsons „Langzeitstrategie“ nützen.
Am Parteitag der Tories wird er ab Sonntag seine Truppen mobilisieren. Viele reden davon, dass nur ein Kompromiss die Krise lösen kann. Doch die Regierung hat die Fronten verhärtet wie noch nie.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.09.2019)

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