Bürokultur

Kommunizieren versus Konzentrieren

Helles Ambiente und passendes Mobiliar sollen dazu beitragen, ins Gespräch zu kommen – hier umgesetzt von team_gensda.
Helles Ambiente und passendes Mobiliar sollen dazu beitragen, ins Gespräch zu kommen – hier umgesetzt von team_gensda.(c) gnesda
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Inzwischen macht sich bei aller Liebe zum offenen Informationsfluss auch in modernen Büros die Erkenntnis breit, dass ungebremste Kommunikation nicht alles ist.

Kommunikation, Kommunikation und nochmal Kommunikation hießen die drei Zauberworte, wenn es in den vergangenen zehn Jahren um Büroarchitektur und –möblierung ging. Dem Miteinanderreden wurden wahre Wunderkräfte in Sachen Innovationen und Produktivitätssteigerung, Mitarbeiterbindung und Imagebildung zugeschrieben. Kleinere oder gar Einzelbüros hörten fortan auf den wenig schmeichelhaften Namen „Zellenbüros“, gehuldigt wurde den Großräumen, Copy-Corners und Kaffeeküchen, in denen dem Informationsfluss keine Grenzen gesetzt waren. Und das auch nicht zu Unrecht, wie viele Erfolgsbeispiele zeigen.

Mittlerweile beginnt man aber, das ganze Konzept etwas differenzierter zu sehen – und das nicht nur, weil die gepriesenen Großräume immer öfter mit Menschen gefüllt sind, die mit Noise-Cancelling-Kopfhörern nicht nur versuchen, dem Informationsfluss zu entkommen, sondern auch gleich signalisierien: Sprich! Mich! Nicht! An!

Qualität statt Quantität

Vielmehr geht es jetzt einerseits darum zu erkennen, was Kommunikation auf dem heutigen Stand der Dinge noch leisten kann, und dann zwischen quantitativer und qualitativer Kommunikation zu unterscheiden. Man dürfe nicht dem Irrtum aufsitzen, dass nur noch mehr kommuniziert werden muss, um die Produktivität zu steigern. Viele Firmen meinen bis heute, dass bei einer Grafik, die auf der X-Achse „Kommunikation“ und auf der Y-Achse „Erfolg“ stehen hat, die Kurve kontinuierlich im 45-Grad-Winkel nach oben zeigen müsse. Laut Experten ist dieses Denken falsch und kommt noch aus einer Zeit, in der zu wenig kommuniziert wurde. Heute haben wir den Zenit aber quasi überschritten.

Denn zum Erfolg braucht es neben aller Kommunikation eben auch die Möglichkeit zur Konzentration, und die ist in der Vergangenheit oft ein bisschen zu kurz gekommen – was aber im Arbeitsalltag nicht unbedingt hilfreich ist. Der Hirnforscher Professor Wolfgang Lalouschek etwa weist darauf hin, dass man 20 Minuten brauche, um sich in eine Aufgabe tatsächlich zu vertiefen und hineinzukommen – doch wer hat heute noch die Möglichkeit, das wirklich in voller Ruhe zu tun?

Wie einst ums Feuer,       schart man sich heute um die Kaffeemaschine. Auch Drucker oder Aufzüge werden gewollt als Gesprächsorte inszeniert. genutz
Wie einst ums Feuer, schart man sich heute um die Kaffeemaschine. Auch Drucker oder Aufzüge werden gewollt als Gesprächsorte inszeniert. genutz(c) Getty Images (ferrantraite)

Räume und Regeln

Neben der nötigen Zeit gilt es vor allem, in den modernen Büros dafür auch die entsprechenden Orte zu schaffen. Und das nicht nur räumlich, sondern auch kulturell. „Eine offene Bürokultur braucht gewisse Regeln, die klar machen: Wo darf ich telefonieren und wann? Wo trifft man sich zum Kaffee-Talk und wo zur Besprechung? Und muss Rückzugsräume schaffen, in denen das Telefonieren eben ganz klar nicht erwünscht ist“, erklärt Ewald Stückler, Geschäftsführer von tecno.office.consult. Dafür sei es beispielsweise wichtig, neue Mitarbeiter in deren ersten Tagen an die Hand zu nehmen und ihnen diese internen Regeln zu erklären. „Ein anderes Modell sind beispielsweise Farbleitsysteme, bei denen die Wandfarbe oder der Teppich deutlich machen, wo Kommunikation und wo Konzentration gewünscht ist.“

Handtuchmentalität entgegentreten

Auch der Versuchung der – vor allem in der Hierarchie höher stehender – Mitarbeiter, sich auf Umwegen einen ruhigen Dauerarbeitsplatz zu schaffen, gelte es mit klaren und auch exekutierten Regeln entgegenzutreten. Beispielsweise wenn Abteilungsleiter eine Art Handtuchmentalität wie deutsche Urlauber auf Mallorca an den Tag legen und in der Früh einen Besprechungsraum für den Rest des Tages blockieren. „Da muss klar gemacht werden, dass solche Räume nur für maximal zwei Stunden buchbar sind, sonst kollabiert das System“, betont Stückler. Außerdem kann bereits mit der Raumplanung dafür gesorgt werden, dass das richtige Verhalten am richtigen Ort stattfindet. „Es macht natürlich Sinn, die gewünschten Kommunikationszonen dort zu haben, wo die Menschen sich ohnehin treffen“, sagt Stückler.

Etwa bei Verkehrsknotenpunkten wie dem Aufzug, dem Kopierer oder dem Klassiker Kaffeeküche, deren Qualität mittlerweile als Zeichen der Mitarbeiterwertschätzung interpretiert wird – ein Trend, den Wolfgang Eberhardt, B2B Director bei Nespresso Österreich, bestätigt. Mit einem Kaffeeautomaten und zwei Sesseln beim Kopierer ist es daher nicht getan – helle Atmosphäre und Mobiliar von Stehtischen bis zu Lounge-Sesseln sollen dazu beitragen, ins Gespräch zu kommen.

Kobel sind wieder in – als flexibel gestaltbare Elemente, die sich dem Bedarf gemäß schnell zusammen- oder auseinderstellen lassen.
Kobel sind wieder in – als flexibel gestaltbare Elemente, die sich dem Bedarf gemäß schnell zusammen- oder auseinderstellen lassen.(c) Bernhard Schramm

Gefühlter Schallschutz

Auf der anderen Seite sorgen dann in offenen Bereichen Elemente wie gepolsterte Sitzmöbel mit hohen Rundumlehnen dafür, ein wenig Privatsphäre für Telefonate zu schaffen, die vielleicht nicht der ganze Großraum oder die Lounge mithören sollen. „Technisch funktionieren diese Elemente sehr gut, ob sie das psychologisch auch tun, ist eine andere Frage“, weiß Andreas Gnesda, Geschäftsführer von teamgnesda. Denn komplett schalldicht sind sie natürlich nicht, und wenn man nicht weiß, wer vielleicht hinter der Polsterwand steht und interessiert mithört, stellt sich ein Gefühl von Ungestörtheit auch eher nicht ein.

In den Großraumbüros selbst versuchen die Einrichter seit ein paar Jahren, vor allem durch entsprechende Materialien den Geräuschpegel unter Kontrolle zu halten. Dazu gehört alles, was Schall absorbiert – von dicken Teppichen und Stoffen bis zu perforierten Kastenoberflächen (siehe auch Seiten 6-10). Vermieden werden Glaswände oder Holzböden, gekämpft wird häufig mit Betondecken, die sich in Zeiten von Deckenkühlungen immer schwerer vermeiden lassen.

Postivie Irritationen

Aber auch ganz neue Denkweisen im Umgang mit der Kommunikation zeichnen sich bereits ab, wie Thomas Fundneider, Geschäftsführer von The Living Core, berichtet: „Es gibt erste Konzepte, die mit positiven Irritationen arbeiten“, so der Innovations- und Strategieberater. Beispielsweise indem Bürogebäude bewusst so angelegt werden, dass man miteinander reden muss, um sich zurechtzufinden: „Dabei wird auf qualitative Begegnungen statt auf das nahtlose Funktionieren von Bürogebäuden gesetzt. Indem etwa nicht in jedem Stockwerk die Besprechungsräume am gleichen Ort liegen und es so etwas wie „Copy and paste“ auf jeder Etage gibt, damit sich jeder sofort auskennt“, so Fundneider. Das klinge zwar absurd, sorge aber für positive Irritationen und könne durchaus so gestaltet werden, dass man sich eben nicht verloren fühlt, aber auch aus der Routine herausgerissen werde.Aktuell lassen sich derartige Bürodesigns beispielsweise bei Slack in San Francisco finden, wo man versucht habe, die Menschen aus ihrem Trott zu reißen und sie buchstäblich neue Wege erkunden zu lassen, indem sie nach Hilfe fragen müssen. „Dabei geht es um aktive und qualitative Kommunikation, denn das ist der Zweck der modernen Büros der Zukunft“, so Fundneider. „Dort geht es darum, über Dinge zu reden, die sich nicht online und virtuell abbilden lassen. Um Kommunikation, bei der ich beispielsweise durch die Körpersprache meines Gegenübers merken kann, wie dessen Gefühlslage ist, was ihm Angst macht.“

Schlichter Zweitürer: Multifunktionaler Besprechungsraum, gestaltet von tecno.office.consult für Coca-Cola Österreich.
Schlichter Zweitürer: Multifunktionaler Besprechungsraum, gestaltet von tecno.office.consult für Coca-Cola Österreich.(c) tecno office consult

Temporäre Bedürfnisse

Ebenfalls massiv an Bedeutung gewonnen haben Bürokonzepte, die temporär die richtigen Bedingungen für einen guten Kommunikationsfluss, aber auch Konzentrationszonen schaffen. Und das nicht nur mit mobilem Mobiliar, wie es etwa Vitra mit seiner „Hack“-Linie oder Bene mit der „Pixel“-Kollektion schon länger anbieten, sondern auch durch das projektbezogene Auf- und Abbauen ganzer Räume in großem Stil. So haben beispielsweise die britischen Designer von Allford, Hall, Monaghan und Moris für Google in London ein modulares Konzept mit sogenannten „Jacks“ – eine Art Kobel aus Glas – und Holzelementen umgesetzt, die sich anlassbezogen zu Räumen aller Größen zusammenbauen lassen. „In diesen Büros in King’s Cross gibt es über 160 Jacks“, berichtet Fundneider, „mit denen man sich abschotten, aber auch Plätze oder Gänge konfigurieren und diese je nach Bedarf auch täglich verändern kann.“

Was derzeit optisch noch eher zweckmäßig daherkommt und mit dem stylishen Ambiente manch anderer Google-Büros, wie etwa dem legendären Office in Zürich, kaum mehr etwas gemein hat. „Derzeit sind diese Konzepte eher funktional als schön“, gibt Fundneider zu, aber derartige Pendelbewegungen zwischen ästhetisch und praktisch gäbe es immer – und derzeit stünde wieder die Funktion stärker im Mittelpunkt. Was im Übrigen auch einem anderen Trend entgegenkommt, der sich vorsichtig abzuzeichnen beginnt: Die 24/7-Philosophie, nach der Arbeitgeber Büros mit Wohnzimmeratmosphäre, Yogaräumen und Cafés so eingerichtet haben, dass die Mitarbeiter freiwillig gar nicht mehr nach Hause gehen wollten, hat ihren Zenit mittlerweile zumindest auch erreicht. „Immer mehr fragen sich inzwischen, ob sie ihre freie Zeit nicht vielleicht doch lieber zu Hause verbringen wollen, als mit den Kollegen“, so Fundneider. Denn die Kommunikation im Kreise der Familie oder Freunde hat eben doch immer noch eine ganz eigene Qualität.

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