Die finnische Hauptstadt und ihr Umland streicheln ihre Besucher mit gutem Essen, viel Design und noch mehr Gemütlichkeit.
Es ist ein lauer Abend, kurz nach 23 Uhr, es fühlt sich im gedämpften orangefarbenen Licht der Straßenlaternen irgendwie noch immer hell an, und es ist, als ob diese Stadt menschenleer wäre. Manchmal fährt ein Taxi, eine Straßenbahn vorbei, fast lautlos gleitet sie vorüber, ein grünblauer Lichtstreifen vor dem dunkelblauen Hafen. Es ist so still, dass einen ein Möwenschrei erschrecken kann. Helsinki, die finnische Hauptstadt, hat seltsame Qualitäten für eine Stadt dieser Größe, dieser Funktion. Helsinki ist erholsam. Helsinki ist grün. Helsinki gibt seinen Bewohnern und seinen Besuchern Platz. Und macht trotzdem ziemlich viel Spaß.
Es ist nicht irgendeine Attraktion, irgendein Markenzeichen, das die Stadt so hervorheben würde: Es ist schlicht der finnische Lebensstil. Es sind die grinsenden Leute, die an einem Freitagnachmittag mit ihren Freunden zur Fähre laufen, um dort am offenen Deck Gin Tonic zu trinken und auf einer der Inseln des Archipels zusammen in die Sauna zu gehen. Und vielleicht dort noch ein Bier zusammen zu trinken, auf der Terrasse am Meer, in das man vorher bei acht Grad Wassertemperatur gesprungen ist. Es sind knusprige, noch warme Pulla, traditionelle Zimtschnecken, an einem frischen, klaren Morgen. Es sind Ferienhäuser im Wald und silberglänzend verpackte Minzbonbons.
Ekstase für Mitteleuropäer. Es ist auch die Optik, die Helsinki so attraktiv macht, die Finnland geprägt hat und auf die sich das Land insgeheim beruft, als Gründungsmythos und Ikone. Finnland – das Land wurde 1917 souverän – hat seine Identität mit Kunst und Design und Architektur verknüpft: Alvar Aalto, Eero Saarinen, Fiskars, Marimekko, Artek. Nokia! In den wenigen Jahrzehnten seit der Staatsgründung haben diese Namen das Bild Finnlands mitgezeichnet, genauso wie der Schnee und die Saunas und die Mumins und die Rentiere von Joulupukki, dem echten Weihnachtsmann, der in Lappland wohnt.
Insofern verwundert es nicht, dass der gemeine designaffine mitteleuropäische Reisende in Finnland in die übliche skandinavisch-nordische Begeisterung ausbricht. Holzböden! Schöne Beleuchtung! Richtige Möbel im Restaurant! Durchdachte öffentliche Toiletten! Und so weiter. Schon auf der Hinreise bekommt man bei der nationalen Fluggesellschaft, Finnair, den Kaffee in einem Pappbecher im Marimekko-Design serviert.
Historisch eingezwickt zwischen Schweden und Russland, unterscheidet sich Finnland aber von den vermeintlichen Schwestern im Norden, von Dänemark und Schweden. Auch Helsinki ist anders als Kopenhagen und Stockholm. Es ist ein bisschen weniger hochgeschminkt, ein bisschen weniger aggressiv trendy. Es ist ein bisschen herber, skurriler. Aki Kaurismäki weiß schon, was er hier einfangen muss. Elektrisch blaue Neonschriften, rote Samthocker, Esstische aus Eichenholz: Das war schon immer der Look dieses Landes.
Ungezwungene Natürlichkeit. Richtig gut spüren kann man das fast überall in der Hauptstadt, schon am Weg vom Flughafen in die Stadt fühlt man sich wie in einem Kaurismäki-Film. (Hier sei auch das – 1924 eröffnete – Restaurant „Kosmos“ empfohlen, das der Regisseur für mehrere seiner Filme nutzte.) Die Tresen der Eckkneipen sind bloß ein bisschen polierter, aus den Arbeitervierteln mit ihren Lagerhallen sind mittlerweile Design-Distrikte geworden. Ein gutes Beispiel dafür ist das alte Rex-Kino unweit des Hauptbahnhofs: Allein hätte es wohl nach wie vor einen gewissen Retrocharme, immerhin ist es für sich eine architektonische Perle. Doch erst die Verbindung mit einer neuen – unterirdischen – Kunsthalle kann die Schönheit des Ortes so richtig hervorstreichen, ohne seine Substanz zu beschneiden. Amos Rex heißt der so entstandene Komplex, der 2018 eröffnet wurde und den Hauptstadtbewohnern bereits ans Herz gewachsen ist. Ticketreservierungen im Voraus lohnen sich also; gezeigt wurde zuletzt eine große René-Magritte-Retrospektive.
All das ist seltsam gemütlich, gar nicht aufgesetzt, wie man das vielleicht glauben möchte. Wer in eines der schönen Lokale in der Innenstadt von Helsinki geht, ins El Fant vielleicht am späten Vormittag, ins Juuri oder ins Shelter am Abend, fühlt sich nicht in eine künstliche Situation transplantiert, so wie das eben vielleicht manchmal in Kopenhagen oder Stockholm der Fall ist, wo man sehr bewusst auf der Linie zwischen natural und hip balancieren muss. In Helsinki ist das aus irgendeinem Grund nicht notwendig. Hier bekommt man schlicht sehr gutes Essen – auch die Finnen sammeln mit Vorliebe im Wald die Zutaten fürs Abendessen – in sehr schöner Atmosphäre von sehr netten Menschen serviert. Wer hier wohnt, wirkt gelassen, so in sich ruhend, wie das wohl nur in einer Stadt sein kann, die von Wasser und Inseln und Saunas umringt ist.
Letztendlich geht es in Finnland nicht um Trends; hier geht es darum, den Winter zu überleben. Was wohl auch der Grund dafür ist, dass das finnische Leben darauf ausgerichtet ist, es auch drinnen gut auszuhalten, wenn man irgendwann nicht mehr rauskann, weil es dunkel ist und schneit. Das ist auch der Grund dafür, dass Helsinki die Stadt der Bibliotheken ist. Die verschiedenen Büchereien sind allesamt für ihre Architektur bekannt. Wie Aquarien für Menschen ragen ihre Fenster weit nach außen. Die neue Hauptbibliothek – eröffnet zum 101. Geburtstag des Landes – steht ohnehin als strahlendes, selbstbewusstes Monument im Regierungsviertel. Eine Ode an aktive Bürger und Freiheit soll sie sein, weswegen sie auch „Oodi“ heißt.
So der Winter überstanden ist, blüht das Leben schnell, schnell wieder auf. Eine Metapher dafür ist die alljährliche – öffentliche – Marimekko-Modeschau: Auf einem Steg zwischen den Bäumen der Esplanade am Hafen von Helsinki werden die Kleider mit den großen, bunten Mustern vorgeführt. Wie riesige Blumen ziehen sie über den Laufsteg, dazu wummert finnischer Hip-Hop, und Tausende Besucher kommen, um zuzuschauen. Wahrlich eine Saisoneröffnung, im besten Fall begleitet von strahlendem Sonnenschein und dem anschließenden Drang, einen Minus-zehn-Prozent-Gutschein im Flagship-Store an der Ecke einzulösen.
Land und See. Mit dem Saisonstart eilen die Finnen auch in ihre Sommerhäuschen, wo sie der Statistik nach 79 Tage des Jahres verbringen werden. Letztendlich empfiehlt es sich deshalb, selbst einen Wochenendtrip nach Helsinki mit einem Ausflug ins Umland abzurunden. Empfehlenswert ist hier die Gegend um den See von Tuusula, wo etwa Ainola, das Haus des Komponisten Jean Sibelius, einen Besuch wert ist (und auch das Besucher-Café Aulis mit exquisitem Design und ebensolchen Pulla); umliegend befinden sich viele andere Häuser von Künstlern, in der Regel mit Ausstellungen. Bei gutem Wetter kann man den See und seine Häuser auch per Rad erkunden. Etwas weiter entfernt liegt das Künstlerdorf Fiskars – wo die Scheren herkommen, genau –, das mittlerweile eine eigene Designbiennale bietet (und ein exzellentes Restaurant, das Wärdshus, für das allein sich schon die Anreise auszahlt, sowie einen eigenen „Distillery Tap Room“, beides doch eher überraschend für einen 450-Einwohner-Ort).
Zumindest in Helsinki selbst sollte man sich auf die Natur einlassen. Per Fähre erreicht man Teile des Archipels. Ein Ausflugsziel ist hier etwa die verwunschene 1920er-Jahre-Villa Oivala, die vom Verband der finnischen Architekten, Safa, betrieben wird und für Führungen öffnet. Den Inbegriff des finnischen Lebensgefühls findet man auch auf der Ausflugsinsel Lonna. Hier in die Sauna, dann ins Restaurant, und schon will man dieses Land nicht mehr verlassen, selbst wenn es schneit.
Compliance-Hinweis: Die Reise erfolgte auf Einladung von Visit Finland in Zusammenarbeit mit der Stadt Helsinki.
Infos
Anreise: Direktflüge ab Wien z. B. mit Finnair, www.finnair.com
Unterkunft: In Helsinki in einer ruhigen Wohngegend nahe am Hafen: das Hotel Katajanokka, früher ein Gefängnis.
www.hotelkatajanokka.fi. Wer lieber in einer alten Polizeistation unterkommt: Das HochglanzHotel Lilla Roberts liegt im Design District. www.lillaroberts.com
Für die Landflucht: das unkomplizierte Hotel Tegel im Kunsthandwerksdorf Fiskars.www.tegel.fi
Rings um Tuusula empfehlen sich auch größere Ferienhäuser, z. B. die Villa Tammikko, Sauna selbstverständlich inbegriffen. www.villatammikko.fi