Nationalratswahl 2019

Wen wählt Österreich, und vor allem: Wen wählt Kurz?

ORF-Wahlduelle - Meinl-Reisinger, Kogler, Rendi-Wagner, Pilz, Kurz, Hofer
ORF-Wahlduelle - Meinl-Reisinger, Kogler, Rendi-Wagner, Pilz, Kurz, HoferAPA/GEORG HOCHMUTH
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Die Ibiza-Affäre hat die heutige Wahl zwar ausgelöst, dürfte die Wähler aber nicht entscheidend beeinflussen. Der ÖVP ist allen Umfragen zufolge Platz eins sicher, SPÖ und FPÖ ringen um Platz zwei.

Ein politisches Erdbeben hat diese Wahl ausgelöst. Und dennoch sind, wenn heute kurz nach 17 Uhr die ersten Hochrechnungen veröffentlicht werden, keine allzu großen Erschütterungen zu erwarten. Glaubt man den Umfragen, gibt es diesmal kein Duell um die Kanzlerschaft, allenfalls etwas Gerangel auf den hinteren Plätzen. Kurz zurück zum politischen Erdbeben: Gerade einmal eineinhalb Jahre war die türkis-blaue Regierung im Amt, als im Mai das „Ibiza-Video“ FPÖ-Vizekanzler Heinz-Christian Strache dabei zeigte, wie er (damals noch als Oppositionspolitiker) einer vermeintlichen Oligarchennichte Staatsaufträge in Aussicht stellte. ÖVP-Bundeskanzler Sebastian Kurz kündigte umgehend die Koalition auf – und wurde per Misstrauensantrag von SPÖ, FPÖ und Liste Jetzt gestürzt.

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Das „Alt-“ vor dem „Kanzler“ dürfte Kurz nun bald wieder los sein. Zwar zeigen die Umfragewerte der letzten Monate einen ganz leichten Abwärtstrend für die ÖVP, sie liegt mit zuletzt 33 bis 35 Prozent aber immer noch mit Respektabstand vor SPÖ bzw. FPÖ und über dem Ergebnis von 2017 (31,5 Prozent). Und das, obwohl die „Message Control“ der Volkspartei zuletzt etwas außer Kontrolle geraten war: Die Affäre um das Schreddern von Drucker-Festplatten, die Kritik an der Stückelung von Spenden und der Hacker-Angriff auf ihre IT-Systeme zwangen die Partei in die Rolle der Reagierenden. Kurz' Wunsch, „dass es keine Koalition gegen uns gibt“, dürfte dennoch in Erfüllung gehen.

Das liegt vor allem an der Schwäche der SPÖ. Sie muss am Sonntag sogar um Platz zwei bangen, steht sie in den Umfragen doch mit 20 bis 23 Prozent nur knapp vor der FPÖ. Parteichefin Pamela Rendi-Wagner übernahm die Partei 2018, nachdem Christian Kern, der bei der letzten Nationalratswahl enttäuschende 26,9 Prozent geholt hatte, das Handtuch warf. Ihr Start war holprig, auch innerhalb der Partei hielt sich das Vertrauen in die Quereinsteigerin in Grenzen. Im Laufe des Wahlkampfs trat die Medizinerin zwar zunehmend sicherer auf, mit traditionellen sozialdemokratischen Forderungen wie jener nach Vermögenssteuern hatte man aber auch keine großen Renner.

Der FPÖ blieb in diesem Wahlkampf wenig Gelegenheit, Themen zu setzen: Nicht nur „Ibiza“, sondern zuletzt auch die Affäre um das Spesenkonto von Ex-Parteichef Strache sorgten für Sand im Getriebe. Trotzdem: Das Minus gegenüber 2017 (26 Prozent) wird laut den Prognosen (um die 20 Prozent) nur gering ausfallen. „Jetzt erst recht“, lautet einer Befragung von „Public Opinion Strategies“ zufolge die Devise von 31 Prozent der FPÖ-Wähler. Außerdem dürfte die Doppelspitze mit Norbert Hofer als weicher und Herbert Kickl als harter Seite der Partei gut ankommen. Und die Strache-Loyalen werden auch nicht verschreckt: Über seinen möglichen Parteiausschluss wegen angeblich falsch abgerechneter Spesen wird erst nach der Wahl entschieden.

Um ein „Comeback“ geht es auch bei den Grünen. Und zwar um jenes ins Parlament, aus dem sich die Partei 2017 mit mageren 3,8 Prozent verabschieden musste. Damit es gelingt, verzichtete Werner Kogler, der nach der Abspaltung von Peter Pilz und dem überraschenden Rücktritt von Eva Glawischnig die zerstrittene Partei zu einen suchte, auf ein Mandat in Brüssel. Immerhin hatte er den Grünen bei der EU-Wahl im Mai satte 14,08 Prozent beschert - ein Wert, an den sich die Partei Umfragen zufolge heute annähern könnte. Ob sie sich bewahrheiten, ist offen, die Themenlage – Klimaschutz war das dominierende Sachthema des Wahlkampfs – kommt der „Öko-Partei" jedenfalls gelegen.

Etwas bescheidener fallen die Prognosen (rund neun Prozent) für die Neos aus, auch wenn an ihrem Wiedereinzug in den Nationalrat (2013 hatten sie mit 4,96 Prozent ihre Premiere, 2017 hielten sie sich mit 5,3 Prozent) nicht gezweifelt wird. Damit würden die Pinken – allen voran Spitzenkandidatin Beate Meinl-Reisinger – auch demonstrieren, dass sie ohne Parteigründer Matthias Strolz überlebensfähig sind.

Das politische Ende dürfte die um drei Jahre vorverlegte Nationalratswahl hingegen für die Liste Jetzt und ihren Gründer Peter Pilz bedeuten. Sie kommen in Umfragen seit Monaten nicht über die Zwei-Prozent-Marke hinaus, für den Einzug ins Hohe Haus bedarf es jedoch das Doppelte.

Am bundesweiten Stimmzettel ebenfalls zu finden sind die KPÖ und der „Wandel“ – ihre Chancen, mehr als ein Prozent abzuholen, sind allerdings verschwindend gering. Gleiches gilt für jene fünf Parteien, die nur in einzelnen Bundesländern antreten: Die Christliche Partei Österreichs (CPÖ) im Burgenland, die „Allianz der Patrioten“ (BZÖ) in Kärnten, die Sozialistische LinksPartei (SLP) in Oberösterreich, „Jede Stimme GILT“ in Tirol und Vorarlberg sowie die „Bierpartei“ in Wien.

Wen wählt Kurz als Koalitionspartner?

Die große Frage lautet somit eigentlich: Wen wählt Sebastian Kurz? Für eine Neuauflage von Türkis-Blau spricht, dass man sich inhaltlich weiterhin einig ist – das Regierungsprogramm von 2017 ist noch nicht zur Gänze abgearbeitet. Personell wird es etwas schwieriger: Die Landesparteien, allen voran die niederösterreichische, wollen, wenn überhaupt, eine FPÖ ohne Herbert Kickl. An diesem halten die Blauen aber fest. Eine zuletzt öfters gehörte Variante lautet daher: Kickl wird kein Minister mehr, dafür aber Klubobmann (und säße damit bei den Verhandlungen ohnehin mit am Tisch).

Kaum wahrscheinlich scheint dagegen Türkis-Rot. Rendi-Wagner wäre zwar – nach anfänglichem Zögern – wohl dazu bereit, um zu verhindern, „dass die Rechten noch einmal an den Hebeln der Macht sitzen“, wie es zuletzt hieß. Allerdings: Es hakt sowohl inhaltlich als auch persönlich zwischen Rendi-Wagner und Kurz. Einen besseren Draht zu Kurz hätten Burgenlands Landeshauptmann Hans Peter Doskozil (wo allerdings am 26. Jänner gewählt wird) und die zweite Nationalratspräsidentin Doris Bures.

Völliges Neuland wäre eine Dreierkoalition aus ÖVP, Grünen und Neos. Dafür spricht, dass die Genannten sie nie vollends ausgeschlossen haben und die Variante laut Umfragen in der Bevölkerung beliebt ist – dagegen, dass es in Streitfragen zu einer Lagerbildung innerhalb der Koalition kommen könnte: zwei gegen einen. Türkis-Grün bzw. Türkis-Pink wird sich nach derzeitigem Stand nicht ausgehen.

Nach 1945 gab es in Österreich nur eine echte Minderheitsregierung, nämlich eine der SPÖ unter Bruno Kreisky. Nach 18 Monaten war jedoch Schluss. Diese Option zu versuchen, davon sprach Kurz nach dem Misstrauensvotum gegen ihn, im Wahlkampf war davon dann aber nichts mehr zu hören.

Wie der Wahlabend abläuft

Die letzten Wahllokale schließen heute um 17 Uhr. Die ersten Hochrechnungen werden zwischen 17 Uhr und 17:15 Uhr erwartet und dürften eine Schwankungsbreite von etwa zwei Prozent ausweisen. Gegen 19:30 Uhr wird Innenminister Wolfgang Peschorn das vorläufige Endergebnis verkünden – allerdings ohne das Ergebnis des Großteils der Wahlkarten. 

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