Quergeschrieben

Der Schmäh von der Lebensrealität der Menschen „draußen“

Nur eine kleine Minderheit fühlt sich vom Kampf um die Stimmen am Sonntag angesprochen: Warum verfolgen dann Millionen die TV-Auftritte der Kandidaten?

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Selten ist eine Umfrage so widerlegt worden wie jene des Instituts für Grundlagenforschung durch die über 60 TV-Auftritte der Spitzenkandidaten für die Nationalratswahl am Sonntag. Drei Viertel der Österreicher, so will das Institut erforscht haben, beklagen, dass der Wahlkampf der vergangenen Monate „nichts mit ihrer Lebensrealität“ zu tun habe. Nur 13 Prozent fühlten sich angesprochen.

Hätten die TV-Sendungen aber keine Rekordquoten, hätte es sie nicht am laufenden Band gegeben. Dafür gibt es einige Erklärungen, keine davon schlüssig: Umfrage-Erforschte in Österreich könnten notorische Schwindler sein. Denn wer würde sich schon diesen Overkill an immer gleichen Fragerunden, die nichts mit der eigenen Wirklichkeit zu tun haben, freiwillig antun? Ein Volk von Masochisten? Wohl kaum.
Oder die Österreicher sind unerschütterliche Optimisten, die hoffen, von den immer gleichen Politikern in etlichen Sendungen vielleicht doch irgendwann eine „lebensnahe“ Antwort zu erhaschen. Dagegen sprechen allerdings historische Erfahrungswerte.

Oder es handelte sich um ein sogenanntes Heumarkt-Catcher-Syndrom. Für Nichtwiener: „Heumarkt“ steht für Ringkämpfe in der Wiederaufbauzeit nach 1945, überaus populär und schenkelklopfend bejubelt. Wer ringt wen nieder? Meine Vermutung ist eher, dass sich ein Gutteil der österreichischen Wähler, durch Erfahrung abgeklärt, von der Politik gar keinen Bezug zur eigenen Lebensrealität erwartet.
Damit wäre aber eigentlich der von allen Kandidaten propagierte „Ausflug“ zu den „Menschen draußen“ überflüssig gewesen. Wenn sich die Menschen – weder draußen noch drinnen – echte Lösungen ihrer Probleme erwarten, bringt das ganze Auf-die-Menschen-Hören nicht wahnsinnig viel.

Ich bin ja eigentlich auch „draußen“, ziemlich lang schon, aber bei mir war niemand. Zugegeben, viele Probleme, die andere Menschen „draußen“, wo immer das ist, beschäftigen, sind nicht mehr Teil meiner Lebensrealität. Hätte mir aber jemand zugehört, so hätte ich schon eine Liste vorlegen können, nicht ganz frei, aber zum überwiegenden Teil ohne die übliche Ichbezogenheit.
Mir wäre zum Beispiel eine politik-getriebene Änderung des gesellschaftlichen Klimas wichtig – weg von der latenten Bösartigkeit gegen „die anderen“ und der Politik der Angst, hin zu einer optimistischen Grundhaltung und Freude daran, dass dieses Land keine unlösbaren Probleme hat.

Mir wären Änderungen im Bildungsbereich wichtig, die Kinder nicht in ein rigides Schema zwingen, und jenen, die nicht ganz systemkonform sind oder lernen können, jegliches Selbstvertrauen nehmen. Auch das ginge nur durch eine Änderung der Einstellung vieler Lehrkräfte. Allein, ohne gewachsenes Selbstbewusstsein der kommenden Generationen werden sich weder wirtschaftliche noch demokratiepolitische Herausforderungen meistern lassen. Strukturen sind nur für Systemerhalter von Bedeutung.

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