Die Welt bis gestern

Eine Geschichte des schwierigen Wählers

Die Herausforderung am Wahltag: der Wähler und der Stimmzettel.
Die Herausforderung am Wahltag: der Wähler und der Stimmzettel. (c) JEFF PACHOUD / AFP / picturedesk (JEFF PACHOUD)
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Über Stimmzettelbeschmierer, Ungültigwähler, Verweigerer und andere Leute, die auf die Wahl pfeifen.

Es war nicht immer leicht in den letzten beiden Jahrhunderten, Wahlberechtigte von der Bedeutung ihrer Stimmabgabe zu überzeugen. Und wenn sie dann doch die Wahlkabine betraten, war das Ergebnis in einzelnen Fällen befremdend: „Alles Gfraster“, „Deppen“ konnte da stehen, verächtlich hingeschmiert quer über die vorgedruckten Zeilen auf dem Stimmzettel. Da konnte sich offenbar jemand mit keinem der vorgegebenen Kandidaten anfreunden. Rein äußerlich hat er die Teilnahmenorm als Wähler mit seinem Besuch im Wahllokal erfüllt, faktisch hat er sich aber einer Entscheidung enthalten. Er setzte eine Geste der Ablehnung, bei einer Gelegenheit, bei der er auch hätte zu Hause bleiben können. Also steckte doch ein Impetus dahinter, sich mit seinem Protest zu artikulieren.

Die Politikwissenschaft spricht dann von ungültigen Stimmen und deviantem Wahlverhalten. Eingeordnet wird es in das Kapitel Wahlenthaltung. In den Medien tauchen solche Unmutsäußerungen im Anekdotenteil der Nachwahlberichterstattung auf, natürlich mit dem Hinweis, dass derartige Kundgebungen als ungültiges Votum zu sehen sind. Ganz vernachlässigen sollte man das Thema jedoch nicht. Es ist zwar nur eine Minorität, die auf diese Weise ihren Frust kundtut, aber in absoluten Zahlen ist sie nicht ganz unbedeutend. Bei den Europawahlen von 2004 etwa wurden in den damals 22 Staaten beinahe 2,8 Millionen ungültige Stimmzettel abgegeben, das waren 2,77 Prozent, das ist nicht vernachlässigbar.

Der Anteil ungültiger Stimmen war in der Vergangenheit besonders hoch, wenn Wahlenthaltung gesetzlich oder gesellschaftlich stark sanktioniert wurde, zum Beispiel in autoritären Systemen wie in der Sowjetunion und in der NS-Zeit. Diktaturen verheimlichten diese einzig mögliche Form des Dissenses nicht nur, indem sie sie nicht auswiesen, sie deuteten sie bei der Auszählung auch großzügig um – als Zustimmung. Auch in Demokratien mit Wahlpflicht findet man mehr ungültige Stimmen. Sind sie bewusst als ungültig angelegt oder aus Unkenntnis, ist es Protest oder Unvermögen? Oder ist der unübersichtliche Stimmzettel schuld, also komplizierte Wahlrechtsbestimmungen?

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