Digital Thinking

Brücke zwischen digital und analog

Die Teilnehmer des Sortier-Weltrekordversuchs vor dem Start. Jeder trägt eine Nummer, die an Knotenpunkten mit Nummern anderer Teilnehmer verglichen werden und den weiteren Weg bestimmen, womit die Nummern sortiert werden.
Die Teilnehmer des Sortier-Weltrekordversuchs vor dem Start. Jeder trägt eine Nummer, die an Knotenpunkten mit Nummern anderer Teilnehmer verglichen werden und den weiteren Weg bestimmen, womit die Nummern sortiert werden.(c) Nadja Meister
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Mit einem erfolgreichen Weltrekordversuch wurden in Wien digitale Prozesse in die analoge Welt übersetzt. Ziel der Aktion war, „informatisches“ Denken zu veranschaulichen und so zu fördern.

Wie vermittelt man am besten technisches und „informatisches“ Denken? Das ist mit der fortschreitenden Digitalisierung – und dem damit nicht Schritt haltenden Interesse der Schüler und vor allem Schülerinnen – ein Dauerbrenner für Bildungsexperten. An der TU Wien geht man dazu – gemeinsam mit der Wiener Sir-Karl-Popper-Schule und der International School Klosterneuburg – buchstäblich neue Wege.

50 Schüler der Wiener Sir-Karl-Popper-Schule und der International School Klosterneuburg bewegten sich am 19. September, ausgerüstet mit Tafeln, auf denen jeweils eine Zahl von 1 bis 50 stand, auf einem 1000 Quadratmeter großen Areal vor dem Ernst-Happel-Stadion in Wien – ganz ohne zentrale Kontrolle – durch ein vorgegebenes Netzwerk. Sie führten Vergleiche der Nummern an bestimmten Punkten, den Sortierknoten, durch, wählten danach ihren weiteren Weg und kamen mit den sortierten Daten an den Ausgangsknoten an – und das in weniger als drei Minuten. Das reichte für einen Weltrekord als größtes menschliches Sortierwerk.

Spezielle Art des Denkens

Stefan Szeider, Leiter der Algorithms and Complexity Group der TU Wien und Ko-Vorsitzender des Wiener Zentrums für Logik und Algorithmen und Initiator des Weltrekordversuchs, möchte damit Schülern nahebringen, wie man denken muss, um die digitalen Aufgaben der Zukunft bewältigen zu können. Zugrunde liegt dem Ganzen, dass in der Informatik effizientes Sortieren – ein Sortieralgorithmus ist ein Rechenvorgang, der Daten schnell und effizient sortiert – ein essenzieller Vorgang ist (siehe Kasten).

Seit einigen Jahrzehnten – publik gemacht durch die amerikanische Informatikerin Jeanette Wing – hat sich die Erkenntnis durchgesetzt, dass Menschen, die sich mit Informatik beschäftigen, „eine ganz bestimmte Art von Denken entwickeln“, wie Szeider erläutert. „Wing hat das Computational Thinking (informatisches Denken) genannt. Es ist eine Art des Denkens, das algorithmisch und prozessorientiert ist, und bei dem Abstraktion und Effizienz eine besondere Rolle spielen.

Digitales analog darstellen

Äußerst komplexe Computersysteme, wie ein modernes Smartphone, könnten nicht konstruiert oder programmiert werden, ohne viele Abstraktionsebenen einzuführen – das ist letztlich zentraler Inhalt des Computational Thinking. Dazu kommt noch die immer größer werdende Fülle an Informationen, mit der man lernen muss, effizient umzugehen.“ Szeider versucht also, eine Brücke zu schlagen zwischen dem Digitalen und dem Analogen, indem er digitale Prozesse, wie das Sortieren, ohne Computer durchführen lässt.

Hermann Morgenbesser, Informatiklehrer an der International School Klosterneuburg, EUN- Schoolnet- und Scientix-Botschafter für Österreich, dessen Schüler an dem Weltrekordversuch teilgenommen haben, begrüßt diese Initiative von Szeider. „Wir arbeiten schon länger mit der TU Wien zusammen. Was ich besonders wichtig finde, ist der Ansatz, den menschlichen Anteil am Digitalisierungsprozess den Menschen – in diesem Fall hauptsächlich den Schülern – nahezubringen. Die Vorstellungskraft wird durch das Arbeiten mit analogen Beispielen geschult und bleibt damit nachhaltig im Gedächtnis – und mir als Lehrer fällt es dann leichter, algorithmische Prozesse zu vermitteln.“

Die Idee mit dem menschlichen Sortierwerk ist nicht ganz neu. Das erste Mal hat man 1999 ein solches Netzwerk in England mit 300 Vergleichsknoten auf die Beine gestellt, Neuseeland folgte 2005 mit 210 Vergleichsknoten – und nun hat Wien den Vogel abgeschossen mit 1225 Vergleichsknoten. Erstaunlich ist, wie schnell sich dieses menschliche Sortiernetzwerk lösen lässt – 50 Schüler haben dafür nicht einmal drei Minute gebraucht, wobei Szeider darauf hinweist, dass „die Vorbereitungsarbeiten dafür immens waren. Wir haben im Prinzip schon ein Jahr vorher zu planen angefangen.“ Und Morgenbrenner erzählt, dass er mit den Schülern das Ganze in kleinerem Maßstab auch auf Schulebene durchgegangen ist.

Der Weltrekordversuch mit dem menschlichen Sortierwerk war keine Einzelaktion, Szeider beschäftigt sich intensiv mit der Vermittlung von digitalem Denken, 2011 wurde dafür das Vienna Center for Logic and Algorithms (VCLA) an der TU Wien ins Leben gerufen, um das Bewusstsein um die Bedeutung von Logik und Algorithmen zu stärken – sowohl in der wissenschaftlichen Welt als auch in der breiten Öffentlichkeit.

Online-Materialiensammlung

Ein Projekt des VCLA ist ADA (Algorithmen denken anders). Der erste Event im Rahmen dieses Projekts war der Weltrekordversuch. Nächste Aktionen sind zwei Hackathons zum Thema künstliche Intelligenz (Hackathon for Good AI, start 3. Oktober, Hackathon für gute KI, Start 5. Oktober), die Jugendliche motivieren und unterstützen sollen, Verständnis sowie Kompetenzen für diese Zukunftstechnologie zu entwickeln. Weiters soll im Rahmen von ADA die Open-Source-Lernmaterialsammlung CS Unpluggend, die Informatik mithilfe analoger Spiele vermittelt, in deutscher Sprache zur Verfügung gestellt werden.

„Digitalisierung heißt auch, das Lernen auf eine tragfähige Basis zu stellen und effiziente pädagogische Maßnahmen zu setzen, denn die nächste Herausforderung wird die Artificial Intelligence sein, bei der das Menschsein neu definiert werden muss“, blickt Morgenbesser in die Zukunft.

Web:www.vcla.at; www.ada.wien

www.csunplugged.org

LEXIKON

Ein Sortiernetzwerk ist eine besondere Form eines parallel ausführbaren Sortieralgorithmus, der sich direkt in Hardware realisieren lässt. Ein solches Netzwerk hat drei Arten von Knoten: Eingangsknoten mit den unsortierten Daten, Vergleichsknoten, an denen die Daten paarweise verglichen werden, und Ausgangsknoten, an denen dann die sortierten Daten erscheinen. Es geht also darum, Elemente einer Liste in eine bestimmte Ordnung zu bringen, was letztlich dazu dient, Prozesse zu optimieren und die Zeit zu verringern, die ein Computer für eine Aufgabe benötigt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.09.2019)

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