Nur kurz vermag Margarete (Andrea Wenzl) den ruhelosen Faust (Werner Wölbern) zu fesseln.
Burgtheater

Gierschlund Faust reißt alles an sich

Martin Kušej hat seine „Faust“-Inszenierung von München nach Wien transferiert. Im Burgtheater wirkt sie sehr originell, sofern man den Text nicht im Ohr hat. Fulminant: Das Ensemble.

Goethes Poesie in der Häckselmaschine, Monologe zu Schlagwörtern zerhackt, Zitate verändert, die Dramaturgie auf den Kopf gestellt: 2014 brachte Martin Kušej am Münchner Residenztheater „Faust I und II“ heraus, seit Freitagabend ist die Inszenierung im Burgtheater zu sehen. Ein Sakrileg, aber auch ein kühnes Unterfangen. Der fragmentierte Stoff dient als Bild für eine fragmentierte Gesellschaft, Menschen im Banne von Youtube, Games, Twitter, Instagram und Handy, die sich, außer beim Meditieren, nur mehr sehr kurz auf eine Sache konzentrieren wollen und können.

Dieses „Faust“-Konzept ist interessant, das Ensemble hervorragend. Die Story in Kürze: Faust hat sich bei seiner Raserei durch die Welt ruiniert. Eine Herz-OP, ausgeführt von Mephisto, der hernach als Begleiter engagiert wird, rettet dem Businessman das Leben. Doch wenn Mephisto seinen schwarzen Mund aufreißt, fühlt der Patient Beklemmung in der Brust. Faust geht in die Disco, er möchte mit jungen Leuten tanzen, aber die verspotten ihn nur. Im Boxring wird er ans Gitter geklatscht. Aleksandar Denić baute eine tolle Konstruktion für die Bühne, ein Kran, Plattformen, kleine Räume, die dominante Farbe ist schwarz, das Innere der Kemenaten leuchtet weiß auf.

Baustelle Leben. Die Welt ist eine Baustelle wie das Leben, diese Binsenweisheit erhält hier erschreckende Wucht. „Der Kampf um Ruhe und Raum“ titelte neulich „Die Zeit“. Faust lässt alles zubetonieren, der Kolonisator als Baulöwe. Bald nach dem Beginn fallen ihm Philemon und Baucis zum Opfer, am Ende nocheinmal. Fausts Welteroberung bildet die Klammer dieser Aufführung, seine Liebesgeschichte mit Gretchen ist bloß eine Episode, die Phase eines schwächelnden Lebemannes. Faust will eine Auszeit, vielleicht gar aussteigen, aber die leidenschaftliche Margarete macht ihm einen Strich durch die Rechnung. Auch sexuell ist das brave Mädchen fordernd. Faust, inzwischen Mädchen-und Waffenhändler, geht zurück ins Bordell. Doch Margarete in Gestalt eines noch jüngeren Mädchens verfolgt ihn. Das Ende ist unheilig. Drei Stunden und 15 Minuten mit einer Pause dauert dieser meist atemberaubende Abend. Werner Wölbern als Faust bleibt unverjüngt, die Hexe macht ihm bloß was vor. Hier ist alles Fake, was bei Goethe magisch wirkt. Wölbern begeistert als rastloser Manager im grauen Anzug, nicht einmal im Bett mit Margarete(Andrea Wenzl) zieht er seine Unterhose aus, ein Wüstling eben. Wenzl bezaubert mit Dramatik und Innigkeit. Ein anderer Höhepunkt der Aufführung ist die perfide Szene zwischen Faust und Schüler Wagner (Jörg Lichtenstein): Faust will sich töten, Wagner rettet ihn, Faust ist erst zornig, dann dankbar.

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