Interview

Ralph Fiennes: „Europa liegt mir am Herzen“

„Solche Regimes haben Angst davor, dass Künstler ihre Freiheit ausleben und präsentieren und grenzüberschreitende Dinge tun“, sagt Ralph Fiennes über Russland.
„Solche Regimes haben Angst davor, dass Künstler ihre Freiheit ausleben und präsentieren und grenzüberschreitende Dinge tun“, sagt Ralph Fiennes über Russland. Getty Images
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Der Regisseur Ralph Fiennes über seinen Protagonisten, den Balletttänzer Rudolf Nurejew („The White Crow“), die russische Mentalität, Zensur und das beschämend komplizierte Verhältnis seiner Heimat zur Europäischen Union.

Ralph Fiennes eilt der Ruf voraus, kein leichter Gesprächspartner zu sein. Doch siehe da: Beim Interview in London kann davon keine Rede sein. Vielmehr nimmt der 56-jährige Brite, der mit Filmen wie „Schindlers Liste“ berühmt wurde und längst selbst Regie führt, sein Gegenüber genau in den Blick – und spricht lieber über Kunst und Politik als über Privates. Gelächelt oder gar gelacht wird eher selten. Was neben seiner nachdenklich-strengen Art auch an den Themen liegt: Außer um Ballettlegende Rudolf Nurejew (den in Fiennes' neuem Film „The White Crow“ der Tänzer Oleg Ivenko verkörpert) geht es schließlich auch um die russische Seele, Kollegen unter Hausarrest und seine Sorge um Europa.

Ihr neuer Film „The White Crow“ erzählt von Rudolf Nurejew und spielt über weite Strecken in dessen Heimat Russland. Was verbindet Sie mit dem Land?

Ralph Fiennes: Ich war 1997 erstmals in Russland, mit einer Inszenierung von Tschechows „Ivanov“. Dass ausgerechnet wir Briten dieses Stück im legendären Maly-Theater in Moskau zeigen durften, war eine sehr emotionale Angelegenheit. Ich habe das damals alles total begierig aufgesogen: All die Sehenswürdigkeiten in Moskau, die Tretjakow-Galerie, die Fahrt im Nachtzug nach Sankt Petersburg, das auch im April noch ganz in Schnee gehüllt war.

Die touristischen Aspekte sind das eine, die russische Mentalität ist noch etwas anderes.

In der Tat, das wird einem natürlich schon klar, wenn man einige der großen Werke der russischen Literatur des 19. Jahrhunderts liest. Oder auch darüber diskutiert. Mich beeindruckt immer wieder, wie schnell in Russland ein Gespräch zu einer tiefschürfenden Debatte über die Bedeutung des Lebens wird. Und wie selbst ein jahrhundertealtes Kunstwerk mit einer Dringlichkeit diskutiert wird, als ginge es um Tagespolitik. Diese tiefe Hingabe, die viele Russen gegenüber dem Sinn des Lebens empfinden, beeindruckt mich immer wieder. Ich weiß noch, wie ich mal russischen Freunden erzählte, ich würde eine Pause einlegen und meine Batterien aufladen. Die sahen mich alle irritiert an und meinten, das könne ich doch auch machen, wenn ich tot sei.

Was interessierte Sie an Nurejew?

Die Geschichte seines Überlaufens, als er während eines Paris-Aufenthalts der Ballettkompanie beschloss, nicht nach Russland zurückzukehren. Die bedingungslose Leidenschaft, mit der er für seine Kunst und für seine Überzeugungen eintrat, steuerte in Kombination mit seiner starken, eigenwilligen Persönlichkeit auf den Moment zu, in dem er mit Haut und Haar Künstler sein wollte. Dass da nicht immer nur die angenehmen Seiten seiner Person zutage treten, machte Nurejew als Filmfigur natürlich umso reizvoller.

Ist er in Russland eigentlich ein Reizthema?

Er gilt natürlich als einer der größten russischen Künstler aller Zeiten, daran hat auch seine Flucht in den Westen nichts geändert. Problematisch ist, was sein Standing angeht, eher seine Sexualität. Das aktuelle russische Regime tut sich ja extrem schwer damit, einen tolerantem Umgang mit Bürgern zu finden, die homosexuell sind. Letztlich steckt vermutlich hinter dem Umgang damit das Gleiche wie hinter anderen Arten der Zensur von Künstlern: Es zeigt, wie viel Angst solche Regimes davor haben, dass Künstler ihre Freiheit ausleben und präsentieren und grenzüberschreitende Dinge tun. Sie können ihre Mitmenschen inspirieren, in ihnen Hoffnung wecken, sie provozieren. Daran ist einem Regime nicht gelegen, wobei es letztlich natürlich darin seine Schwäche zeigt. Wann immer der Film irgendwo Premiere feierte, war es mir deswegen ein Anliegen, meinen Kollegen Kirill Serebrennikow zu erwähnen.

Ein Regisseur, der wegen fragwürdiger Vorwürfe unter Hausarrest stand...

Dass so etwas heutzutage möglich ist und einem Künstler aufgrund seiner Arbeit passiert, besorgt mich sehr.

Welche Themen treiben Sie noch um?

Um nur eines herauszupicken: Die europäische Idee liegt mir sehr am Herzen. Und ausgerechnet meine Heimat steckt beschämenderweise in einer großen Identitätskrise, was das Verhältnis zu Europa angeht. Ich bin Engländer, aber fühle einen starken Bezug zu einer gewissen europäischen Mentalität und Kultur. Von daher war mir auch die Ehrung beim Europäischen Filmpreis so viel wert. Denn sie zeigt, was ich fühle: Dass ich Europäer bin!

Steckbrief

Ralph Fiennes wurde 1962 in Ipswich, England, geboren. Er spielt seit seiner Schulzeit Theater.

Bekannt wurde er als KZ-Kommandant Amon Göth in „Schindlers Liste“. Die Rolle brachte ihm eine Oscar-Nominierung ein.

Nochmals für den Oscar nominiert wurde er für seine Rolle in „Der Englische Patient“.

Als Regisseur hat er bei seinem aktuellsten Film „The White Crow“ fungiert, der in Österreich seit Freitag im Kino läuft.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.09.2019)

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