Film

Ein sehr zarter Distelfink

Theo (Oakes Fegley) und Boris (Finn Wolfhard) verbindet eine innige, gefährliche Freundschaft.
Theo (Oakes Fegley) und Boris (Finn Wolfhard) verbindet eine innige, gefährliche Freundschaft.Warner Bros.
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Es war der Bestseller des Jahres 2013: „Distelfink“ von Donna Tartt. Die Verfilmung von John Crowley ist weit zurückhaltender – und dadurch noch anrührender.

Donna Tartts „Distelfink“ ist großes Kino. Nämlich schon als Roman. Was für eine bewegende Geschichte! Als Theo mit seiner Mutter das Metropolitan Museum besucht, explodiert dort eine Bombe. Die Mutter stirbt, Theo taumelt an den Rettungskräften vorbei ins Freie und schlägt sich nach Hause durch. Dort wartet er. Und wartet. Bis er akzeptieren muss, dass seine Mutter wirklich nicht wiederkommen wird.

Schuldgefühle plagen ihn: Wäre er nicht beim Rauchen erwischt worden, hätte der Direktor die Mutter und ihn nicht vorgeladen, dann wären sie auch nicht zu früh zum Termin gekommen und hätten sich nicht die Wartezeit im Museum vertrieben.

Dann, ja dann. Hätte Theo nicht bei einer fremden Familie Unterschlupf finden müssen, wäre der Vater nicht ermordet worden und zum Schusswechsel mit Gangstern in Amsterdam wäre es auch nicht gekommen: Dieses Buch macht Actionfans glücklich, Freunde großer Gefühle sowieso, und für die Bildungsbürger hat Donna Tartt ein Gemälde aus dem ausgehenden 17. Jahrhundert in die Story eingebaut.

Nicole Kidman ringt um Fassung

Der Film von John Crowley ist dagegen nachgerade zurückhaltend. Auf die im Buch breit ausgewalzten dramatischen Ereignisse wirft er nur einen kurzen Blick, nicht länger als nötig, damit der Zuschauer die Zusammenhänge versteht. Ihm geht es vielmehr um die Folgen des Traumas: Er zeigt den vor Kummer starren Theo (Oakes Fegley), der bei einer aus Tradition starren Familie der Upperclass unterkommt, die damit prahlt, dass sie sich des armen, armen Buben angenommen hat.

Trotzdem: Da passt etwas, auch wenn es nicht zu passen scheint, die ungelenke Freundlichkeit scheint Theo wohler zu tun als überbordendes Mitgefühl es könnte. In der Stille der riesigen Räume findet Theo etwas Ruhe, in der stets beherrschten Mutter etwas Halt. Nicole Kidman spielt diese Frau mit versteinerter Miene, doch trotzdem wird spürbar, wie sie zwischendurch um Fassung ringt. Was soll sie tun? Was soll sie sagen? Doch der Umgang mit Gefühlen fällt ihr schwer, so sagt sie nichts und tut nur wenig, und vergießt auch dann keine Träne, als Theo von seinem wieder aufgetauchten Vater mitgenommen wird. Sie steht nur noch eine Weile am Gehsteig und schaut dem Auto hinterher.

Der Vater, er ist ein Säufer, ein Spieler, ein Tunichtgut, er nimmt Theo in eine Siedlung mitten in der Wüste mit. Zum Glück lebt dort Boris, ein aus der Ukraine stammender Bub, der sich vor der stechenden Sonne mit einem schwarzen Regenschirm schützt und vor dem Kummer mit jeder Menge Alkohol. Was für wunderbare Bilder findet hier John Crowley, wie zart und anrührend. Und wie gefährdet und gefährlich wirkt Finn Wolfhard („Es“, „Stranger Things“), der diesen Boris spielt.

„Der Distelfink“ ist auch ein Film über Freundschaften: laute und leise, wärmende, stürmische, zerstörerische und rettende. Dass John Crowley dafür die Liebes- und Gangstergeschichten der Vorlage eher stiefmütterlich behandelt – man verzeiht es ihm gern.

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