Wahlanalyse

Türkis-grüne Höhen und ein blau-rotes Jammertal

Peter Kufner
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Deutlicher als erwartet, aber ohne echte Überraschungen fiel das Ergebnis der Nationalratswahl am Sonntag aus.

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Weitgehend ohne Überraschung, wenn auch deutlicher als erwartet fiel das Ergebnis der Nationalratswahl aus. Die ÖVP gewann mit haushohem Vorsprung und profitierte zusätzlich von massiven Absetzbewegungen freiheitlicher Wähler in letzter Minute. Die SPÖ setzte ihren Abwärtstrend (Halbierung der Wähler seit den 1990er-Jahren) weiter fort und musste ihr schlechtestes Wahlergebnis in der Zweiten Republik hinnehmen. 2017 konnte sie ein ähnliches Debakel vor allem dank der Zuflüsse von den damals komatösen Grünen noch abwenden.

2019 kehrten diese wieder heim und nahmen noch einige Zusätzliche mit; eine kleinere Gruppe wechselte auch zur ÖVP. Von der FPÖ flüchtende Wähler (darunter viele einstige SPÖler) zeigten der Sozialdemokratie die kalte Schulter. Sprechend ist das Ergebnis in der Bundeshauptstadt: 2017 war noch ein Plus von fast drei Prozentpunkten drinnen; 2019 erfolgte ein überdurchschnittlicher Absturz von mehr als sechs Prozentpunkten. Mit knapp 29 Prozent spielt die SPÖ nun in der gleichen Liga wie die ÖVP (24 Prozent). Die Neos erhöhten ihren Stimmenanteil um nahezu die Hälfte, und die Grünen vervierfachten sich. Der Pilz-Verein Jetzt (2017 ein Refugium mancher Grüner) flog aus dem Parlament.

Klientel halten, Neue holen

Die Volkspartei verdankt ihren Erfolg in erster Linie ihrem Spitzenkandidaten, Sebastian Kurz, dessen Vertreibung aus dem Kanzleramt durch ein rot-blaues parlamentarisches Zweckbündnis von einem Gutteil der Wähler nicht goutiert wurde. Vor allem aber ist es der Kurz-ÖVP – anders als ihrer deutschen Schwesterpartei CDU – gelungen, sowohl das Gros ihrer traditionellen Klientel zu halten als auch in neue Wählerschichten vorzudringen. Der Wahlkampf verlief ohne größere Hoppalas und wesentliche parteiinterne Friktionen (die mit Aggression angereicherte publizistische Jeremiade des Vorgängers dürfte Kurz eher Sympathien als Abneigung beschert haben).

Die FPÖ hat nicht nur die Rechnung für Ibiza präsentiert bekommen, sondern auch für die Strache'schen Finanzeskapaden und die Weigerung der Parteiführung, rechtzeitig einen klaren Schlussstrich zu ziehen. Einen besoffen schwadronierenden Dumpfbolzen mit Machtmissbrauchs- und Korruptionsallüren hätten manche ohnehin Politikerverdrossene noch hingenommen, aber die unverfrorene Bedienung aus den Parteikassen durch den selbst ernannten Tribun der „kleinen Leute“ war ebendiesen doch zu viel. Das SPÖ-Debakel ist mit dem Verlust von einem Fünftel ihrer Wähler von 2017 zwar nicht ganz so spektakulär wie das der FPÖ, die Folgen aber nicht weniger gravierend. Sie hatte die falsche Spitzenkandidatin: Rendi-Wagner hat viele Qualitäten, parteiinterne Führungs- und Durchsetzungskraft und Gespür gehören nicht dazu. Den Beweis dafür hat sie neuerlich mit ihren Äußerungen in der Wahlnacht („Die Richtung stimmt.“ „Alles wieder genauso machen“) erbracht. Zudem war der Wahlkampf grottenschlecht. Sich an der (legalen) Finanzierung von Mitbewerbern abzuarbeiten, bringt einer (selbst misstrauisch beäugten) Traditionspartei nichts, speziell wenn man die eigenen Geldflüsse durch Umgehungskonstruktionen und Kontrollverweigerung abschotten möchte. Andere Themen wurden damit überdeckt, teilweise auch verschustert: Man übernimmt ein Forderungspaket des ÖGB, dieser erklärt es freudig zur Koalitionsbedingung, und dann muss die Spitzenkandidatin zurückrudern. Der zentrale Wahlkampfslogan „Menschlichkeit siegt“ hätte sich für die Caritas geeignet, nicht aber für eine Partei mit Gestaltungs- und Führungsanspruch.

Die Grünen haben – zu einem Gutteil ein Verdienst ihres Spitzenkandidaten, Werner Kogler – ihre Fähigkeit zur Rückkehr in den Nationalrat unter Beweis gestellt, noch mehr aber jene zu realitätsnaher Politik. Zugegebenermaßen erfreuten sie sich eines starken Rückenwinds durch den Antiklimawandel-Kreuzzug und den medialen Hype um Greta Thunberg. Die Feuerprobe einer allfälligen Koalition mit der ÖVP steht ihnen erst bevor; notabene ist die linke Wiener Landesgruppe schon eifrig damit beschäftigt, Barrikaden dagegen zu errichten. Die Neos erhielten verdienten Zuspruch und ein dezentes Plus für ihre Spitzenkandidatin, Beate Meinl-Reisinger, und ihre Seriosität, kluge Themenwahl sowie die Rolle als beste Oppositionspartei.

Ende des SPÖVP-Duopols

Betrachtet man die längerfristige Entwicklung des österreichischen Parteiensystems seit dem Ende des faktischen SPÖVP-Duopols Ende der 1990er-Jahre so zeigt sich zunächst ein Zug zur Etablierung eines Systems dreier „Mittelparteien“ (SPÖ, ÖVP, FPÖ mit jeweils ca. einem Fünftel bis einem starken Drittel der Wählerstimmen), flankiert von einer Reihe kleinerer, mitunter kurzlebiger Parteien (Grüne, Neos/LIF, BZÖ, Stronach). Freilich wird dieses Muster von den erratischen Aufwärts- (1990–1999, 2013–2017) und Abwärtsbewegungen (2002, 2006; 2019) durchbrochen, die es der ÖVP zweimal ermöglichten (2002 unter Schüssel, 2019 unter Kurz) wieder Großparteienstatus zu erringen.

Es ist im Regelfall für eine Partei vergleichsweise leicht abzurutschen (vor allem, wenn man sich wie die FPÖ Parteispaltungen und veritable Wählervertreibungsaktionen leistet). Wenn das passiert, bedürfen starke elektorale Aufschwünge einer substanziellen strategischen, personellen und inhaltlichen Neupositionierung. Ob dies einem oder beiden der derzeit taumelnden Akteure (FPÖ, SPÖ) gelingt, werden die nächsten Jahre zeigen. Die Verantwortung für Erfolg und Misserfolg der Parteien liegt aber allemal primär bei ihrer Fähigkeit und Bereitschaft zur Selbsterneuerung und Überzeugung einer mobilen und ungebundenen Wählerschaft angesichts neuer und oft plötzlich schlagender Herausforderungen (siehe Flüchtlingskrise 2015/16 und die Wucht des Klimathemas 2019). Nicht liegt sie jedenfalls bei angeblich hundertjährigen politisch-mentalen Konstanten imaginärer Wählerblöcke, wie sie gern zur Erklärung und Rechtfertigung – derzeit vom linken Justemilieu – für Politikversagen und Wahlniederlagen der eigenen Seite herangezogen werden.

Abschließend noch eine (nicht nur) persönliche Bemerkung: Die letzten Wahlkampftage und -wochen ähnelten zunehmend einer medialen und politischen Trash-Show, von den mit aggressivem Zähnefletschen begleiteten politischen Todeszuckungen des Pilz-Vereins über das kunstbluttriefende Abrechnungsdramolett in der FPÖ bis zur finalen Elefantenrunde im ORF.

Diese bot vielleicht einen „unkonventionellen Schlusspunkt“ („Die Presse“), jedenfalls aber einen Tiefpunkt des öffentlich-rechtlichen Infotainments mit Anleihen an Quizshows und einer provinziellen „The Apprentice“-Variante (zettelverteilender Moderator, merkwürdige Bewerbungsgespräche), abgerundet durch die inzwischen eingefahrene pseudowissenschaftliche Instantanalyse und schulmeisterliche Abkanzelung/Belobigung.

E-Mails an:debatte@diepresse.com

Der Autor: Peter A. Ulram (* 1951 in Wien) ist Dozent für Politikwissenschaft an der Universität Wien und Geschäftsführer von Ecoquest, einem Institut für Markt- und Meinungsforschung, Analyse und Consulting in den Bereichen Wirtschaft, Politik und Soziales. Zahlreiche Publikationen zur Wahl- und Parteienforschung sowie zu  politischem Wandel.
Der Autor: Peter A. Ulram (* 1951 in Wien) ist Dozent für Politikwissenschaft an der Universität Wien und Geschäftsführer von Ecoquest, einem Institut für Markt- und Meinungsforschung, Analyse und Consulting in den Bereichen Wirtschaft, Politik und Soziales. Zahlreiche Publikationen zur Wahl- und Parteienforschung sowie zu politischem Wandel. Clemens Fabry

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