Afghanistan

Wahlstreit in Kabul geht erneut los

Die Auszählung der am Samstag bei der Präsidentschaftswahl in Afghanistan abgegebenen Stimmen hat gerade erst begonnen.
Die Auszählung der am Samstag bei der Präsidentschaftswahl in Afghanistan abgegebenen Stimmen hat gerade erst begonnen.(c) APA/AFP/NOORULLAH SHIRZADA
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Bevor noch irgendein aussagekräftiges Ergebnis der Präsidentenwahl vom Samstag vorliegt, reklamieren die zwei Favoriten – so wie 2014 – den Sieg für sich. Neue Tumulte drohen.

Kabul/Wien. Die Auszählung der am Samstag bei der Präsidentschaftswahl in Afghanistan abgegebenen Stimmen hat gerade erst begonnen, die Wahlurnen werden aus allen möglichen Winkeln des Landes nach Kabul gebracht; ein vorläufiges Ergebnis wird nicht vor dem 19. Oktober, das Endergebnis gar erst am 7. November erwartet – aber schon erklären sich die beiden Favoriten zu Wahlsiegern.

Herausforderer Abdullah Abdullah, der als Geschäftsführer der Regierung (praktisch Premier) zuletzt die Macht mit Präsident Ashraf Ghani geteilt hat, wusste am Montag schon: „Wir haben die meisten Stimmen bei dieser Wahl, eine Stichwahl wird also nicht nötig sein.“ Aber auch Amtsinhaber Ghani ließ bereits am Sonntag den Sieg für sich reklamieren: „Nach unseren Informationen stimmten 60 bis 70 Prozent der Wähler für uns“, behauptete sein Vizepräsident Amrullah Saleh.

Damit droht die Neuauflage eines alten Streits. Auch bei den Präsidentschaftswahlen 2014 erklärten sich sowohl Ghani als auch Abdullah zum Wahlsieger und bezichtigten den jeweils anderen des Wahlbetrugs. Das löste wochenlange Tumulte aus, bis sich der damalige US-Präsident Barack Obama einmischte und die Rivalen zu einer Teilung der Macht überredete. Abdullah hat die Anzweifelung des Wahlsiegs von Konkurrenten offenbar zu einer Art Sport gemacht: Schon 2009 wollte er den Wahlsieg des damaligen Gewinners Hamid Karzai wochenlang nicht anerkennen.

Taliban: Wahlen importiert

Der Vorsitzende der Wahlkommission, Habiburrhman Nang, sagte gestern auf einer Pressekonferenz, kein Kandidat habe das Recht, sich selbst zum Wahlsieger zu erklären, bevor die Stimmen ausgezählt seien. Sollte keiner der Kandidaten im ersten Anlauf mehr als 50 Prozent der Stimmen erhalten, folgt im November eine Stichwahl.

Laut verschiedenen unabhängigen Institutionen sind am Samstag zwischen 1,5 und 2,5 Millionen Afghaninnen und Afghanen wählen gegangen; wahlberechtigt waren 9,6 Millionen Menschen. Doch mangelndes Vertrauen in einen freien und fairen Wahlprozess, geringes politisches Bewusstsein vor allem in ländlichen Regionen, weit verbreitete Befürchtungen hinsichtlich umfangreicher Wahlbetrügereien und vor allem massive Drohungen der Taliban gegen alle, die es wagten, zu den Urnen zu gehen, haben zu der geringen Wahlbeteiligung geführt.

Für Radikalislamisten sind die Präsidentenwahlen unrechtmäßig, weil das afghanische Volk „aus dem Ausland importierte Prozesse“ nicht akzeptiere. Wegen der Drohungen der Taliban war am Wahltag ein Drittel der 272.000 Mann starken afghanischen Armee im Einsatz, um die über 5000 Wahllokale zu sichern. Dennoch attackierten die Taliban am Samstag 68 Wahlbüros. Im ganzen Land wurden 113 gewaltsame Angriffe gezählt, darunter Bombenschläge und Raketenabschüsse, bei denen 32 Menschen getötet und 120 verwundet wurden. Die Taliban selbst bekannten sich zu 531 Anschlägen gegen die „illegitimen Wahlen“.

Hekmatyars Warnung

Insgesamt traten 18 Kandidaten bei dieser Präsidentenwahl an, darunter auch der frühere Kriegsherr und „Schlächter von Kabul“ während des Bürgerkriegs in den 1990er-Jahren, Gulbuddin Hekmatyar. Er warnte, er werde auf das Schlachtfeld zurückkehren, wenn die Wahl durch Betrug negativ beeinträchtigt worden sei.

Ausländische Vertreter, deren Länder Truppen in Afghanistan stationiert haben, äußern große Befürchtungen, falls es erneut zu einem wochenlangen Streit über Ausgang und Legitimität des Wahlergebnisses kommen sollte: „Die Kandidaten sollten die Institutionen respektieren“, forderte der tschechische Botschafter in Kabul, Petr Stepanek; die tschechische Republik hat im Rahmen des Nato-Einsatzes 350 Soldaten in Afghanistan stationiert. Es treibe die Wahlkommission in trübe Gewässer, wenn sich die Bewerber vorzeitig zum Wahlsieger erklärten.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 01.10.2019)

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