Während die Pekinger Führung den Gründungstag Chinas mit einer gigantischen Militärparade feierte, eskalierten die Proteste in der Sonderverwaltungszone: Zum ersten Mal seit Beginn der Demonstrationen wurde ein Aktivist von Polizisten angeschossen.
Während in Peking die kommunistische Führung mit der größten Militärparade in der Geschichte des Landes ihre Stärke demonstrierte, Tausende Soldaten im Stechschritt über den Platz des Himmlischen Friedens marschierten und die Volksbefreiungsarmee ihre neuesten Waffensysteme präsentierte, eskalierten die Proteste in der Sonderverwaltungszone Hongkong zum 70. Gründungstag der Volksrepublik China.
„Kämpft für Hongkong, kämpft für Freiheit", skandierten die Zehntausenden Demonstranten, die sich am Dienstag im Herzen der Hafenmetropole zunächst zu einem friedlichen Protest versammelt hatten. Sie trotzten damit einem Protestverbot, das die Regierung erlassen hatte. Wie es hieß, um Verletzte zu vermeiden. In schwarz, der Farbe des Protests gekleidet, streckten die Demonstranten ihre Hände in die Höhe - fünf Finger für ihre fünf Forderungen. Andere hielten schwarze Luftballons in den Händen und stimmten die Protesthymne an.
Später aber explodierten die Spannungen: Die Demonstranten errichteten quer verteilt durch die Stadt Straßenblockaden, zerstörten vermeintlich pro-Pekinger Geschäfte, zündeten Motorräder und andere Gegenstände an, warfen Brandsätze und Pflastersteine in Richtung der Sicherheitskräfte. Weit über den Hochhäusern im Finanzzentrum der Stadt stiegen dunkle Rauchschwaden auf. Zahlreiche U-Bahn-Stationen wurden gesperrt. Viele Einkaufszentren und Geschäfte blieben schon im Vorhinein geschlossen.
Die fünf Forderungen der Demonstranten
Die Polizei reagierte zunächst mit Tränengas, Pfefferspray und Wasserkanonen, später feuerte sie Schüsse ab. Dabei wurde ein 18-jähriger Aktivist in die Brust getroffen. Zum ersten Mal seit Beginn der Proteste im Juni wurde damit ein Demonstrant durch scharfe Patronen verletzt. Auch die Polizei meldete Verwundete: Protestierende hätten mit einer ätzenden Flüssigkeit mehrere Beamte und Reporter verletzt.
An diesem für Peking so hochsymbolischen Tag wollten die Anhänger der Demokratiebewegung ihren Anliegen Nachdruck verleihen: Sie fordern eine unabhängige Untersuchung der Polizeigewalt. Die Methoden der Sicherheitskräfte seien unverhältnismäßig brutal, argumentieren die Demonstranten. Straßensperren und Angriffe auf Polizisten dienten nur der Selbstverteidigung gegen die in voller Montur ausrückenden Spezialkräfte.
Auch eine Amnestie für die mehr als 1500 bisher Festgenommenen verlangen die Protestierenden und, dass die Proteste nicht mehr als „Aufruhr“ eingestuft werden. Denn das bedeutet schwere strafrechtliche Konsequenzen. Und über all dem steht die Forderung nach freien Wahlen. Bei der Rückgabe an China im Jahr 1997 waren der ehemaligen britischen Kronkolonie eine schrittweise Demokratisierung und Sonderrechte wie Meinungs- und Versammlungsfreiheit zugesagt worden. Doch mit dem wirtschaftlichen und politischen Aufstieg der Volksrepublik sieht ein großer Teil der Hongkonger Bevölkerung seine Freiheiten in Gefahr: Peking habe seinen politischen Einfluss ausgebaut - vor allem seit der Machtübernahme durch Xi Jinping 2013.
Für Demonstranten gibt es kein Zurück mehr
Die Lokalregierung hatte mit einer Eskalation der Lage gerechnet: Hinter verschlossenen Türen hatten Hunderte Regierungsvertreter die Feierlichkeiten zum Nationalfeiertag abgehalten. Und die bei der Protestbewegung verhasste Regierungschefin Carrie Lam war überhaupt aus der Stadt geflohen. Sie reiste nach Peking, um dort die Militärparade mitzuverfolgen.
Im Vorfeld hatte China das Sicherheitspersonal in Hongkong aufgestockt, 6000 Polizisten waren in Bereitschaft versetzt worden. Dass sich viele Demokratiebefürworter selbst von Verboten und strengen Sicherheitsmaßnahmen nicht abhalten lassen ist Ausdruck ihrer Verzweiflung: Für sie gibt es nach fünf Monaten kein Zurück mehr. Doch es ist fraglich, wie lange der pro-chinesische Teil der Bevölkerung und Peking sich das noch gefallen lassen.
Während vor ihm die Volksbefreiungsarmee aufmarschierte, forderte Staats- und Parteichef Xi Jinping am Dienstag „langfristige Stabilität" in der Sonderverwaltungszone. Er strebe nach einer „kompletten Wiedervereinigung“ des Landes.