Hildegunde Piza: Die Hände eines Toten

Hildegunde Piza Haende eines
Hildegunde Piza Haende eines(c) Clemens Fabry
  • Drucken

Vor zehn Jahren setzte die plastische Chirurgin Hildegunde Piza neue medizinische Maßstäbe: Sie transplantierte Bombenopfer Theo Kelz die Hände eines Toten. Ein "Presse"-Interview.

Sie haben vor zehn Jahren dem Bombenopfer Theo Kelz fremde Hände transplantiert. Ein Stück „Weltgeschichte“, hieß es damals. Wie lebt es sich mit so einer Zuschreibung?

Hildegunde Piza: Ich bin mir sicher, dass wir keine Geschichte geschrieben hätten, wenn es nicht gut gegangen wäre. Das war eine spannende Zeit. In Österreich gab es einen Aufschrei. Das sei unethisch, hieß es. Aber es war an der Zeit. Und zehn Jahre danach kann ich sagen: Ja, das war richtig. Wir hatten die technischen Möglichkeiten, und wir waren ein dynamisches Team. Und das zu einer Zeit, in der der Teamgedanke in der Medizin nicht in aller Munde war.

Der Erfolg wird, obwohl Sie das Team anführten, dennoch oft Ihren männlichen Kollegen zugeschrieben. Wie verletzend ist das?

Bis zur dritten Haut schon. Aber ich weiß, dass ich es war. Ich freue mich jedes Mal, wenn klar wird, dass man nur im Team stark ist und dass die Macho-Zeit vorbei ist. Und die ist vorbei.


Dennoch haben Sie sich als eine von nur ganz wenigen Frauen einen Namen in der Chirurgie gemacht. Wie einsam ist es für eine Ärztin an der Spitze?

Interessant. Das werde ich oft gefragt. Ich habe mich nie einsam gefühlt, weil ich meinen Mann im Hintergrund gehabt habe, der gesagt hat: „Die Macho-Zeit ist vorbei.“ Wir Frauen dürfen nur nicht ungeduldig sein. Vielleicht dauert manches noch ein Jahrhundert. Schon heute sagen viele, das Arbeitsklima habe sich gewandelt, seit eine Frau drinnen ist. Wir wissen, dass es Unterschiede zwischen den Geschlechtern gibt und dass Gleichmacherei nichts bringt. Auch in der Schule wäre es wichtig, dass man manches die Mädchen alleine machen lässt und manches die Buben. Aber ich möchte keine Frauen- und keine Männerklubs haben. Sich in der Vielfalt des anderen wohlfühlen, das ist der Sinn.

Sie haben Familie und Job vereint, sind Mutter dreier Kinder. Viele schaffen das nicht. Sind die Frauen zu mutlos?

Was man braucht, sind Stützen. Und positives Denken. Man muss für jede Hilfe dankbar sein. Und es gehört viel Mut dazu. Für eine Frau scheint es mir noch immer, so altmodisch es klingt, wichtig zu sein, auch diese Seite des Lebens kennenzulernen. Weil das kann nur sie. Es gibt Frauen, die sagen: „Ich habe mir ein Kind nicht leisten können.“ Ein Kind leistet man sich nicht. Ein Kind ist ein Geschenk.


Sie haben sich als klassisches Nachkriegskind beschrieben, das „häkelte, nähte und strickte; der Grundstock meiner Chirurgenausbildung“. Ist es so einfach? Wer Socken stopfen kann, kann auch Hände transplantieren?

Ich will damit sagen, dass wir einen groben Fehler gemacht haben, indem wir alles, was Handarbeit ist, in unserem Schulsystem seit Jahrzehnten als etwas Lächerliches hinstellen. Wir hatten früher kein Lego. Wir hatten Stofffleckerl, an denen wir nähen konnten. Wenn alle ihrem Kind früh ein Handwerk ermöglichen würden, dann wäre die Misere auf dem Handwerkssektor nicht gegeben. Die Liebe dazu, etwas manuell zu tun, die muss geweckt werden. Wir sind viel zu kopflastig. Wir sind auch zu ohrenlastig. Warum haben wir vergessen, dass wir fünf Sinne haben? Überlegen Sie, was man mit der Hand alles machen kann. Fühlen, ertasten. Auch beim Arzt: Sie spüren genau, der kann Sie angreifen, auch die Masseurin. Das muss trainiert werden. Ich habe nie geplant, Chirurgin zu werden. Ich denke gerne strategisch. Aber wenn ich einen Weg gehe und ich sehe etwas Besonderes, dann bleibe ich stehen und schaue. Und dann finde ich es interessant. „Wo du jetzt gebraucht wirst, da bleibe stehen.“ Diesen Spruch von Hesse nehme ich als Grundsatz.

Um Ihre ungewollte Pensionierung an der Uni-Klinik Innsbruck gab es damals Kontroversen. Geht die Gesellschaft mit älteren Menschen, die etwas leisten wollen, falsch um?

Sicher. Was glauben Sie, wie viele frustriert sind, weil sie nichts zu tun haben. Schon als ich mit 59 Jahren nach Innsbruck kam, hat mir ein Kollege ausgerichtet, dass er mit alten Frauen keine Freude habe. Ich bin dann Jahre später mit einem großen Fest in Pension gegangen. Weil ich damals wusste, ich arbeite weiter. Man muss nur aufpassen, dass man sich nicht einmal lächerlich macht, weil man sich irgendwann noch immer im weißen Kittel vordrängt, obwohl man schon zittert.

Als „Göttin in Weiß“ wurden Sie in die Pension verabschiedet. Wie viel Göttliches steckt denn in einem modernen Mediziner?

Die Medizin ist sicher nichts Göttliches. Es ist ein verantwortungsvoller Beruf. Ich habe die Chance, einen Menschen kennenzulernen, völlig nackt. Nackt mit Angst, Zweifel, Problemen. Er liegt vor mir in einer wehrlosen Position. Damit vorsichtig, bewusst und doch emotionslos und verantwortungsvoll umzugehen, das scheint mir die Medizin zu sein. Wir dürfen nie vergessen: Der Patient heilt sich selbst. Ich kann ihn nur ein Stück auf seinem Weg begleiten.

Sie haben die Patienten, denen Sie Hände transplantiert haben, eng begleitet. Wie lebt es sich mit dem Körperteil eines Toten?

Der Laie schreckt sich, wenn er eine tote Hand angreift. Der Patient identifiziert sich aber sofort damit. Er schaut sie an, erkennt sie, sagt: „Ja, das sind meine.“ Erstaunlich. Einer der Patienten ist erblindet. Zu sehen, wie er ein wesentliches Organ verliert und ein anderes gewinnt, war spannend. Ich interessiere mich für die Verbindung von Kopf und Händen: Wie lange kann im Großhirn ein Zentrum aktiv bleiben, ohne dass ein Organ an der Peripherie vorhanden ist?

Wie lassen sich für Sie Glaube und Wissenschaft vereinen?

Man hat das Glück, einen Glauben zu haben, oder nicht. Man kann Wissenschaftler mit und ohne Glaube sein.

Hat Gott den Menschen erschaffen – oder hatte doch Charles Darwin recht?

Sie werden einem gläubigen Menschen nicht ausreden können, dass da etwas Göttliches ist. Etwas.

Ist der Zeitpunkt unseres Todes vorausbestimmt?

Wenn die Medizin brutal eingreift, ist es falsch. Aber sie macht es sehr verantwortungsvoll. Die verantwortungsvollen Ärzte, die den letzten Tagen oder Stunden begegnen, sind vorhanden. Anders ist es, wenn der Damm gebrochen ist, wie in Holland, wo man überlegt, ob man Assistentinnen zum Sterben ausbildet, die ein Pillerl verordnen. Da begeben wir uns auf Terrain, das menschlich nicht verständlich ist.

Aktive Sterbehilfe lehnen Sie also ab?

Ja. Wenn der Arzt durch Wegnahme aufputschender Mittel hilft, ist das etwas anderes. Ich bewundere Menschen, die Selbstmord begehen, nicht. Ich verstehe sie. Wenn aber einer sterben will, weil er es nicht mehr aushält, dann ist er nicht beim richtigen Arzt. Ich kann jeden Patienten aus einer misslichen Lage befreien. Indem ich Schmerzmittel verabreiche, indem ich die Familie zu ihm rufe. Schwierig wird es in 50 Jahren, wenn die Singles sterben. Darüber denke ich nach. Die Unruhe des Suchens ist in den letzten Jahren enorm gestiegen.

Die plastische Chirurgie ist durch Schönheitsoperationen in Verruf geraten. Zu Unrecht?

Es ist keine verdammte Medizin. Aber bei Schönheitsoperationen sind es gesunde Menschen, die sich operieren lassen. Klienten. Ich bin eine, bei der jene, die solche Operationen machen, sagen, sie solle Ruhe geben. Ich gebe trotzdem keine: Es ist nicht in Ordnung, wenn jemand Mädchen unter 18 operiert.

In der plastischen Chirurgie geht es immer um Ästhetik und Schönheit. Wer ist schön?

Schönheit ist Harmonie. Wenn ich 70 bin, darf ich das zeigen und muss mir nicht Botox spritzen. Warum soll man meine Falten nicht sehen? Das ist meine Einstellung. Wenn jemand darunter leidet, ist das etwas anderes. Viele kommen zu mir und sagen: „Schauen Sie mich an. Was sagen Sie?“ Ich sage: „Sie lassen sich seit Jahren Botox spritzen, Sie haben Ihr Gesicht verloren.“ Und dann die große Frage: „Kann ich es noch einmal gewinnen?“ Ich sage: „Dann müssen Sie selbst sich wiedererkennen.“ Ich verurteile niemanden, der sich das Gesicht spannen lässt. Spannend ist, warum. Welches Leid liegt dahinter? Das herauszufinden, da brauche ich Zeit, das ist nicht „make money“. Ich habe einmal eine 80-Jährige im Gesicht operiert. Sie hat gesagt: „Und wenn ich nur noch drei Jahre lebe, ich will es machen.“ Sie war glücklich.

Die Erzählung „Siddhartha“ von Hermann Hesse begleitet Sie seit 30 Jahren, haben Sie einmal geschrieben. Sie seien „jedes Mal neugierig, welcher Satz mich diesmal berührt“. Welcher Satz berührt Sie derzeit?

Derzeit lese ich viel über die Freundschaft, von Antoine de Saint-Exupéry. Bei Freundschaft geht es um das Letzte: Du musst mich erkennen, wie ich bin.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.05.2010)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.