Einwurf

Die Kalaschnikow der Lüfte

Drohnen haben sich zu beliebten Angriffsmitteln entwickelt, sowohl von Staaten der ersten Welt als auch von Terrorregimen.

Gastkommentare und Beiträge von externen Autoren müssen nicht der Meinung der Redaktion entsprechen.

>>> Mehr aus der Rubrik „Gastkommentare"

Die Welt blickt gespannt nach Saudiarabien. Aufgerüttelt durch einen Drohnen- und Marschflugkörperangriff auf die bedeutenden Erdölproduktions- und Verteileranlagen mitten in der saudischen Wüste. Tatsächlich war dieser Angriff ein Vorzeichen für weitaus folgenschwerere Entwicklungen. Die staunende Öffentlichkeit musste nämlich feststellen, dass Drohnen als Angriffsmittel eingesetzt worden waren. Es scheint, dass derartige Waffensysteme mittlerweile nicht nur das bevorzugte Angriffsmittel von Staaten der sogenannten ersten Welt geworden sind, sondern auch anderer Institutionen und Akteure, seien es nun Regime, aufständische oder separatistische Bewegungen oder gar Terroristen.

2004 machten israelische Soldaten eine erste unangenehme Entdeckung. Offensichtlich hatte die Terrororganisation Hisbollah damit begonnen, Mini-Drohnen zur Aufklärung einzusetzen. Im Jahr 2006 erfolgte die nächste Überraschung: Hisbollah-Kämpfer versuchten mit Sprengstoff bestückte Drohnen einzusetzen. Schnell war klar, dass diese Fähigkeiten nicht von der Hisbollah selbst, sondern mit Unterstützung des Iran entwickelt worden waren. Die rasanten technischen Entwicklungen der folgenden Jahre führten dazu, dass Mini-Drohnensysteme bald für jedermann erreich- und nutzbar wurden. Und so war es schließlich der Islamische Staat (IS), welcher damit begann, im großen Umfang handelsübliche Mini-Drohnen einzusetzen. Aus dem Nahen und Mittleren Osten wanderten diese Taktiken in die Sahelzone, nach Libyen und in die Ukraine.

Aus Syrien wurde auch eine weitere Qualitätssteigerung in der Einsatzführung bekannt. So griffen hier ab Jänner 2018 wiederholt ganze Drohnenschwärme einen russischen Luftwaffenstützpunkt an. Dabei wurden mehrere russische Kampfflugzeuge schwer beschädigt bzw. gar zerstört. Eine Analyse des Angriffes legt die Vermutung nahe, dass der Angreifer die einzelnen Drohnen über einen Leitstrahl zum Ziel dirigiert hatte. Eine Fähigkeit, welche nicht unbedingt den syrischen Rebellen zuordenbar ist. Somit zeigte sich, dass der Einsatz von Mini-Drohnen nicht nur für „non state actors“ interessant ist, sondern auch für Staaten, die nicht unbedingt Interesse daran haben, mit einem erfolgten Angriff in Verbindung gebracht zu werden.

Auf höchstem Niveau stellt sich der Einsatz von Drohnensystemen doch in jenen Konfliktregionen dar, wo sich Interessen des Iran ergeben. Nahezu unbemerkt von der Öffentlichkeit gelang es dem Iran, über Jahrzehnte eine ganze Familie von unbemannten Systemen zu entwickeln. Drohnen unterschiedlicher Klassen auf der einen und Marschflugkörper unterschiedlicher Leistungsparameter auf der anderen Seite. Diese im Rahmen von Proliferation befreundeten, dieselben Interessen verfolgenden oder gar gesteuerten Gruppierungen zur Verfügung zu stellen war nur die logische Folge.

Drohne aus Syrien über Israel

Die innersyrischen Auseinandersetzungen wurden rasch zum Experimentierfeld, und das Jahr 2018 brachte eine bemerkenswerte Qualitätssteigerung. Es gelang einer Drohne vom (iranischen) Typ Saegheh-2, aus Syrien in den israelischen Luftraum zu fliegen. Es erfolgte ein rascher Abschuss, beim Angriff auf die Bodenkontrollstation wurde jedoch eine israelische F-16I abgeschossen. Dies stellte eine Zäsur dar. Delikaterweise ähnelte die abgeschossene Saegheh-2 frappant einer amerikanischen Drohne vom Typ RQ-170 Sentinel. Ein Exemplar dieses Typs war im Dezember 2011 im iranischen Luftraum verloren gegangen.

Den aufständischen Houthis gelang es durch den Einsatz von Drohnen unterschiedlichen Typs, eine gewisse Symmetrie im Konflikt herzustellen. Zwar konnte man den Bombardierungen der arabischen Koalitionsstreitkräfte nichts entgegensetzen, war aber in der Lage, selbst über Hunderte Kilometer entfernt Vergeltung zu üben. 2017 setzten die Houthis erstmals „selbst produzierte“ Drohnen vom Typ Qasef-1 ein. Die Angriffe richteten sich gegen die kritische Infrastruktur, d. h. Flughäfen und Erdölanlagen. Im Juli 2019 hatte die Öffentlichkeit die Möglichkeit, einen Blick auf die bereits eingesetzten Mini-Drohnensysteme der Houthis zu werfen. Neue Waffen standen im Rampenlicht. Nicht nur Drohnen und Raketen, sondern auch Marschflugkörper.

Von den saudischen Streitkräften wurden nach dem Angriff in der saudischen Wüste gefundene Trümmer von abgestürzten Flugobjekten präsentiert. Diese Bilder lassen sehr schnell erkennen, dass es sich um Drohnen eines unbekannten Typs sowie um Marschflugkörper vom Typ Quds handeln könnte. In Anbetracht des Erfolges der Zerstörungen in den saudischen Erdölanlagen stellt dieser Angriff in jedem Fall eine weitere gefährliche Eskalation im Raum dar. Und er macht uns bewusst, dass unbemannte Waffensysteme zum Mittel der ersten Wahl in der modernen Kriegsführung geworden sind.

Die aktuelle Drohnenkriegsführung ist ein klares Phänomen moderner Kriege. Westliche Staaten argumentieren, dass damit eine präzisere und somit möglicherweise humanere Art der Kriegsführung möglich ist. Aber auch andere Akteure haben erkannt, welchen Nutzen der Einsatz von Drohnen mit sich bringt. Sie sind ein billiges und effizientes Mittel und können bei richtigem Einsatz strategische Wirkung erzielen. Sie machen es möglich, dass terroristische Organisationen über hohe Entfernung zuschlagen können. Und es ist nur eine Frage der Zeit, bis die erste von Terroristen gesteuerte Drohnen ein Fußballstadion oder kritische Infrastruktur in vermeintlich sicheren Staaten ansteuern wird. In verbrecherischer Absicht und mit verheerender Wirkung.

Der Autor

Dr. Markus Reisner (* 1978) Oberstleutnant des Generalstabsdienstes, Offizier des Bundesheeres, Studium der Geschichte und Rechtswissenschaften an der Uni Wien; wiederholte Auslandsaufenthalte in Bosnien und Herzegowina, Kosovo, Afghanistan, Irak, . . .; Forschungsschwerpunkte: Einsatz und Zukunft von unbemannten Waffensystemen.

E-Mails an: debatte@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.10.2019)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.